04 Im Bann der Nacht
bleich. »Süchtig?«
Cezar fluchte leise vor sich hin. Weshalb konnte Viper nicht einfach mal den Mund halten? Leicht drückte er Annas Finger. »Keine Sorge. Du bist viel zu halsstar… willensstark, um je süchtig zu werden.«
Viper brach in Gelächter aus. »Cezar, du lernst erstaunlich schnell.«
Anna holte tief Luft und ignorierte dabei den Geruch von Abgasen und Öl, als sie den großen silberhaarigen Vampir dabei beobachtete, wie er eine kleine Schlüsselkarte aus der Tasche zog und sie in den Kartenleser neben dem Aufzug steckte. Ob Dämon oder nicht, er war wirklich ein umwerfendes
Wesen. Wie ein raffaelischer Engel. Natürlich hatte kein Engel dermaßen dunkle und durchtriebene Augen oder ein Lächeln, das es fertigbrachte, eine Frau ohne Umschweife an schwarze Satinbettwäsche und flackernde Kerzen denken zu lassen. Seltsamerweise ließ er sie trotzdem kalt. Da gab es einen anderen dunkeläugigen Vampir, dessen leiseste Berührung ihr Herz erbeben und hüpfen lassen konnte und es manchmal sogar völlig zum Stillstand brachte … Ihr Blick glitt verwirrt zurück zu Cezar. Auf der einen Seite stand ihre Verärgerung über die Dinge, die er fortwährend vor ihr geheim hielt (beispielsweise die Sache mit der Sucht und dem Biss), und andererseits gab es von ihrer Seite die widerwillige Akzeptanz der Tatsache, dass sie im Augenblick auf ihn angewiesen war. Und natürlich musste sie außerdem noch damit fertig werden, dass er sie damals anscheinend gar nicht so mir nichts, dir nichts verlassen hatte.
Zu spät wurde ihr klar, dass beide Vampire sie beobachteten, als sie Cezar gerade wie eine hirnlose Idiotin anstarrte. Anna zwang sich, den Blick auf den geöffneten Fahrstuhl zu richten, und ließ es zu, dass Cezar sie in den Aufzug mit den dunkel getäfelten Wänden führte.
Wispernd schlossen sich die Türen, und sie wurden ins oberste Stockwerk gefahren. Der Lift war geräumig, aber mit zwei mächtigen Vampiren darin eingeschlossen zu sein, brachte Annas Haut dennoch zum Prickeln und ließ die kleinen Haare in ihrem Nacken zu Berge stehen. Noch beunruhigender war allerdings die Tatsache, dass sie im Glanz der silbernen Türen nichts außer ihrem eigenen Spiegelbild sehen konnte. Als sei sie auf unheimliche Art allein. Himmel, sie war nach Chicago gekommen, um Antworten zu finden, und stattdessen … Sie unterdrückte
den hysterischen Drang zu lachen. Stattdessen war sie in den Kaninchenbau von Alices Wunderland gefallen.
Die Türen glitten auf, und ihre bizarren Gedanken rückten durch den Anblick eines langen gläsernen Korridors in den Hintergrund. Hinter dem Glas befanden sich elegant eingerichtete Räume, und jeder von ihnen sah anders aus. Einer wirkte mit all seinem Gold und dem zierlichen Mobiliar darin wie direkt aus Versailles stammend, der nächste hatte anscheinend das Motto Dschungel mit seinen hoch aufragenden Pflanzen und Sofas mit Zebramuster, und dann folgte noch ein kitschiges Hotelzimmer, das aussah, als ob es aus Las Vegas hierher verfrachtet worden war.
Alles wirkte ausgesprochen stilvoll, aber das, was Annas Aufmerksamkeit am meisten weckte und fesselte, war das, was sich in diesen luxuriösen Räumen befand: Vampire. Ob männlich oder weiblich, groß oder klein, schlank oder muskulös - in allen schimmerte die sexuelle Potenz und die überirdische Schönheit, die sie so unvergleichlich machten.
»Also, was passiert hier?«, fragte sie, während sie durch den Korridor gingen und ihr Blick von einem gläsernen Raum zum nächsten glitt, wo die Vampire auf Sofas lasziv herumlagen und ihre perfekten Körper zur Schau stellten.
Mit einem Mal stieg ihr die Röte in die Wangen, als sie bemerkte, dass in einigen Zimmern auch Paare zu sehen waren. Nackte, ineinander verschlungene, stöhnende Paare. Und Bluttrinken war nicht das Einzige, was diese Vampire taten. Sie räusperte sich und hielt den Blick fest auf Vipers in Samt gehüllten Rücken geheftet, während sie immer weiter ins Innere des Gebäudes vordrangen.
»Die Elfen kommen also hierher, um sich beißen zu
lassen?«, fragte sie in der Hoffnung, sich von den sich windenden Körpern abzulenken. Gott, sie fühlte sich schon unbehaglich genug, wenn sie einfach nur in Cezars Nähe war. Das Letzte, was sie jetzt noch brauchte, war eine detaillierte Demonstration dessen, was sie sich die ganze Zeit selbst versagte.
Viper lachte auf, als wisse er genau, was in ihrem erregten Hirn vor sich ging. »Es wird eine ganze Bandbreite an
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