04 - Mein ist die Rache
wahr, Tommy? Oh, ich hätte natürlich anfangs widerstanden. Aber früher oder später hätte ich mit dir geschlafen, und das wußtest du auch. Aber du hast es nicht versucht.«
Er drehte sich zu ihr herum. »Das hätte ich niemals tun können, nach dem, was du mit Simon durchgemacht hattest.«
Er schwieg so lange, daß sie schon glaubte, er würde ihr gar nicht antworten. Sie sah ihm an, daß er um Fassung rang. Sie wünschte, er würde sprechen, seinen Schmerz eingestehen.
»Du nicht«, sagte er schließlich. »Und Deborah auch nicht.«
»Was war anders?«
»Ich ließ es tiefer gehen.«
»Tiefer?«
»Ans Herz.«
Sie ging zu ihm und berührte seinen Arm. »Siehst du es immer noch nicht, Tommy? Du warst nicht der Mann, der nur auf Amüsement aus war. Du möchtest es so sehen, aber es stimmt nicht. Für keinen, der sich die Zeit nahm, dich kennenzulernen, warst du dieser Mann. Ganz gewiß nicht für mich. Und ganz gewiß nicht für Deborah.«
»Ich wollte etwas anderes mit ihr.« Seine Augen waren rot.
»Ich wollte Wurzeln, eine feste Bindung, eine Familie. Und ich war bereit, mehr zu geben, um das zu erreichen. Sie war es wert.«
»Ja, das war sie. Und sie ist es wert, daß du um sie trauerst.«
»O Gott«, sagte er leise. Er schüttelte den Kopf, als könne er damit die schreckliche Trostlosigkeit abschütteln. »Ich hab' das Gefühl, ich sterbe an Einsamkeit, Helen.« Seine Stimme brach unter der Macht der Emotionen, die ihn zu überwältigen drohten. »Ich kann es nicht aushalten.«
Er wollte sich von ihr abwenden, zu seinem Schreibtisch zurückgehen, aber sie hielt ihn fest. Sie hob den Abstand auf, der noch zwischen ihnen war, und nahm ihn in die Arme.
»Du bist nicht einsam, Tommy«, sagte sie leise.
Er begann zu weinen.
Gerade als Deborah das Tor aufstieß, flammte die Straßenlaterne auf der Lordship Place auf und zerteilte den abendlichen Dunst über dem Garten mit ihren sanften Lichtstrahlen. Deborah blieb einen Moment stehen und betrachtete die warmen braunen Mauern des Hauses, den frischen weißen Verputz, das alte schmiedeeiserne Treppengeländer. Irgendwie würde dieses Haus immer ihr Zuhause bleiben, ganz gleich, wie lange sie fortblieb - drei Jahre, drei Jahrzehnte oder, wie diesmal, einen Monat.
Sie hatte, um sich fernhalten zu können, eine ganze Reihe von Ausflüchten gebraucht, von denen ihr Vater, wie sie wohl wußte, nicht eine einzige geglaubt hatte. Aber er hatte die Ausflüchte akzeptiert, um neuerlichen Streit mit ihr zu vermeiden.
So wenig wie sie selbst wünschte ihr Vater eine Wiederholung des heftigen Auftritts in Paddington eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Cornwall. Er hatte sie gedrängt, nach Hause zu kommen. Sie hatte es abgelehnt, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Er verstand es nicht. Für ihn war es ganz einfach: Pack deine Sachen, schließ die Wohnung ab, komm zurück in die Cheyne Row. Komm zurück in die Vergangenheit, meinte er. Aber das kam für sie nicht in Frage. Sie versuchte, ihm klarzumachen, daß sie Selbständigkeit brauchte, eine Zeit mit sich selbst. Seine Reaktion darauf waren heftige Anklagen gegen Tommy gewesen - er hatte sie verändert, verdorben, ihre Wertvorstellungen unterminiert -, und daraus war ein böser Streit erwachsen, der damit geendet hatte, daß sie ihm hitzig verboten hatte, mit ihr oder sonst jemandem je wieder über ihre Beziehung zu Tommy zu sprechen. Sie waren im Bösen auseinandergegangen und hatten einander seitdem nicht wiedergesehen.
Auch Simon hatte sie nicht gesehen. Hatte es auch nicht gewünscht. Diese wenigen Augenblicke tödlichen Schreckens in Nanrunnel hatten ihr in schonungslosem Licht etwas von sich selbst gezeigt, das sie nun nicht länger ignorieren konnte.
Sie wußte nicht, wie sie den Schaden ungeschehen machen sollte, den sie sich und anderen angetan hatte. Darum war sie in Paddington geblieben. Sie hatte als freie Mitarbeiterin für ein Fotoatelier in Mayfair gearbeitet, hatte ein langes Wochenende in Wales verbracht und ein anderes in Brighton. Und sie hatte darauf gewartet, daß Ruhe und Frieden in ihr Leben einkehren würden. Aber es war nicht geschehen.
So hatte sie sich schließlich zu diesem Besuch in Chelsea entschlossen, ohne recht zu wissen, was sie damit erreichen wollte. Nur eines war ihr klar, je länger sie fortblieb, desto schwieriger würde eine Versöhnung mit ihrem Vater werden. Was sie von Simon wollte, hätte sie nicht sagen können.
Durch den Dunst sah sie, wie in
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