04 - Mein ist die Rache
hatte.
»Sie haben ihn, Detective Inspector«, sagte sie, ihn auf ihre freundlich ironische Art bei seinem vollen Titel nennend. Nie sagte sie einfach Mister, Miss oder Mistress, wenn die Möglichkeit bestand, sechs oder sieben Silben aneinanderzureihen, als handle es sich um eine Audienz bei Hof. »Entweder stehen die Sterne gerade günstig oder Superintendent Webberly hat im Fußballtoto gewonnen. Er hat ohne mit der Wimper zu zucken unterschrieben. So ein Glück möchte ich auch mal haben, wenn ich Urlaub beantrage.«
Lynley nahm die Aktennotiz an sich. Sein Chef hatte seinen Namen daruntergesetzt und dazu eine kaum leserliche Notiz: »Seien Sie vorsichtig, wenn Sie fliegen.« Sechs kurze Worte, die verrieten, daß Webberly ahnte, daß er vorhatte, zu einem verlängerten Wochenende nach Cornwall zu fliegen. Lynley zweifelte nicht daran, daß der Superintendent auch den Grund der Reise erraten hatte. Er hatte ja Deborahs Foto auf Lynleys Schreibtisch gesehen und mehrmals seine kleinen Bemerkungen darüber gemacht.
Auch Harriman widmete sich in diesem Moment der Betrachtung der Fotografie, mußte die Augen zusammenkneifen, um sie scharf sehen zu können, weil sie die Brille, die, wie Lynley wußte, in ihrem Schreibtisch lag, wieder einmal verschmäht hatte. Denn die Brille schmälerte die auffallende Ähnlichkeit Harrimans mit der Prinzessin von Wales, und gerade die wollte sie betonen. So trug sie auch heute die Kopie eines Kleides, das Lady Di bei irgendeinem öffentlichen Auftritt vorgeführt hatte.
»Es wird getuschelt, daß Deb wieder in London ist«, sagte sie, während sie das Foto an seinen Platz stellte und dann stirnrunzelnd auf das Chaos auf seinem Schreibtisch hinuntersah. Sie sammelte die herumflatternden Telefonnotizen ein, heftete sie säuberlich zusammen und schob dann fünf Ordner gerade.
»Sie ist schon seit mehr als einer Woche wieder da«, antwortete Lynley.
»Aha, daher also die Veränderung. Sie hören wohl schon die Hochzeitsglocken läuten, Inspector? Seit drei Tagen grinsen Sie wie ein Schwachsinniger.«
»Tatsächlich?«
»Und schweben offensichtlich auf Wolken. Wenn das Liebe ist, nehme ich gleich eine doppelte Portion.«
Er lachte, sah seine Akten durch und reichte ihr zwei.
»Nehmen Sie statt dessen die hier, ja? Webberly wartet auf sie.«
Harriman seufzte. »Ich sehne mich nach Liebe, und er gibt mir ...«, sie warf einen Blick in die Akte, »Faseruntersuchungen von einem Mord in Bayswater. Wie romantisch. Ich hab' den falschen Beruf erwischt.«
»Aber Sie dienen dem Wohle des Volkes.«
»Ja, schmieren Sie mir nur Honig ums Maul.« Sie eilte aus seinem Zimmer und rief irgend jemandem zu, er sollte gefälligst mal an das Telefon gehen, das in einem leeren Raum nebenan unausgesetzt läutete.
Lynley faltete die Aktennotiz zusammen und klappte seine Taschenuhr auf. Halb sechs. Er war seit sieben im Dienst. Auf seinem Schreibtisch lagen noch mindestens drei Berichte zu seiner Begutachtung, aber er merkte, daß seine Konzentration nachließ. Es war Zeit, zu ihr zu gehen, sagte er sich. Sie mußten miteinander sprechen.
Durch die Drehtür trat er auf den Broadway hinaus und ging an dem wenig attraktiven Bau aus grauem Stein und Glas entlang zur Grünanlage.
Deborah stand noch dort, wo er sie von seinem Bürofenster aus gesehen hatte. Bald mit bloßem Auge, bald durch das Objektiv ihres Fotoapparats, der etwa drei Meter entfernt auf dem Stativ stand, studierte sie, wie es schien, den Suffragette Scroll. Doch das, was sie mit der Linse einfangen wollte, entzog sich ihr offenbar. Noch während Lynley sie beobachtete, schnitt sie ein Gesicht, ließ enttäuscht die Schultern hängen und begann, ihre Geräte abzubauen und in den stabilen Metallkoffer zu packen.
Lynley blieb einen Moment stehen, ehe er über den Rasen zu ihr ging, um sich einfach an der Lebendigkeit ihrer Bewegungen zu erfreuen. Er war glücklich, daß sie hier war. Für den süßen Schmerz der Liebe zu einer Frau, die auf der anderen Seite des Ozeans war, hatte er wenig Sinn. Deborahs Abwesenheit war für ihn alles andere als einfach gewesen. Die meiste Zeit hatte er nur daran gedacht, wann er sie wiedersehen würde, und Pläne für die nächste Stippvisite nach Kalifornien gemacht. Aber nun war sie zurück. Sie war bei ihm. Und so sollte es bleiben, wenn es nach ihm ging.
Die Tauben, die im Gras nach Krümeln suchten, flatterten vor seinen Füßen auf, als er über den Rasen ging. Deborah sah auf. Ihr Haar, das
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