04 - Mein ist die Rache
den Orion«, sagte ein Mann mit angenehmer Stimme. Fügte dann hinzu: »Himmel, Helen, du wirst doch wenigstens den Großen Wagen finden.«
»Warte doch, Tommy, ich muß mich doch erst mal orientieren. Du hast ungefähr soviel Geduld wie ein Zweijähriger. Ich kann ...«
Endlich! Sie war bei ihnen, warf sich ihnen entgegen, fiel auf die Knie.
»Nancy!« Jemand faßte sie beim Arm und half ihr wieder auf die Füße. Molly schrie wie am Spieß. »Was ist denn? Was ist passiert?«
Es war Lynleys Stimme, Lynleys Arm um ihre Schultern.
»Mick!« stammelte sie und riß heftig an Lynleys Jackett. Sie begann zu schreien. »Mick! Es ist Mick!«
In den Häusern rundherum gingen die Lichter an.
St. James und Lynley traten gemeinsam ein. Die drei Frauen ließen sie am Gartentor zurück. Mick Cambrey lag auf dem Boden im Wohnzimmer, höchstens sechs Meter von der Haustür entfernt. Die beiden Männer gingen zu ihm und blickten, einen Moment lang vor Entsetzen gelähmt, auf ihn hinunter.
»Mein Gott!« murmelte St. James.
Er hatte in den Jahren seiner Tätigkeit bei der Spurensicherung manch schreckliches Bild gesehen, aber die Verstümmelung von Cambreys Körper traf ihn mit Urgewalt. Als er den Blick abwandte, sah er, daß jemand das Zimmer durchsucht hatte. Alle Schubladen des Schreibtisches waren aufgezogen, Korrespondenz, Briefpapier, Umschläge und Dokumente aller Art waren im Zimmer herumgeschleudert, Bilder waren von den Wänden gerissen und aufgeschlitzt, und neben einem alten blauen Sofa lag eine Fünf-Pfund-Note auf dem Boden.
Seine Reaktion war instinktiv, Gebot seiner beruflichen Erfahrung. Später, im Angesicht der Spannung, die sie zwischen ihnen hervorrief, fragte er sich, warum er ihr überhaupt nachgegeben hatte.
»Wir brauchen Deborah«, sagte er.
Lynley, der neben dem Toten kauerte, sprang auf und fing St. James an der Haustür ab. »Bist du völlig verrückt geworden? Du willst sie doch nicht im Ernst ... Das ist ja Wahnsinn. Wir brauchen die Polizei. Das weißt du so gut wie ich.«
St. James zog die Tür auf. »Deborah, würdest du ...« »Bleib, wo du bist, Deborah«, fuhr Lynley dazwischen und wandte sich wieder dem Freund zu. »Ich erlaube das nicht. Es ist mein Ernst, St. James.«
»Was ist denn, Tommy?« Deborah machte nur einen Schritt.
St. James sah Lynley forschend an, versuchte seinen Befehl an Deborah zu verstehen und konnte nicht.
»Es dauert doch nur einen Moment, Tommy«, erklärte er.
»Es ist meiner Ansicht nach das Beste. Wer weiß, was das von der örtlichen Kripo für Leute sind. Vielleicht werden sie dich sowieso um Hilfe bitten. Also komm, machen wir gleich ein paar Bilder. Dann kannst du anrufen.« Er rief über seine Schulter: »Würdest du mal mit deiner Kamera kommen, Deborah?«
»Natürlich. Hier ...«
»Deborah! Bleib, wo du bist.«
St. James hatte seine eigene Erklärung durchaus vernünftig gefunden. Lynleys Reaktion schien es ihm nicht zu sein.
»Aber die Kamera?« fragte Deborah.
»Ich habe gesagt, bleib weg.«
Deborah hob fragend eine Hand und blickte von Lynley zu St. James.
»Tommy, ist etwas ...«
Helen berührte leicht ihren Arm und ging zu den beiden Männern. »Was ist passiert?«
St. James antwortete ihr. »Helen, bring mir Deborahs Kamera. Mick Cambrey ist ermordet worden, und ich möchte das Zimmer fotografieren, ehe wir die Polizei anrufen.«
Er sagte kein Wort mehr, bis er den Fotoapparat in Händen hielt. Und selbst dann sprach er nicht, während er den Apparat prüfte, um sich mit seinem Mechanismus vertraut zu machen, und die Atmosphäre, das wußte er, immer gespannter und unfreundlicher wurde, je länger er schwieg. Er sagte sich, daß es Lynley einzig darum gegangen war, Deborah den Toten nicht sehen zu lassen. Ja, er war sicher, daß es seinem Freund nur darum gegangen war, als er darauf bestanden hatte, daß sie draußen im Garten blieb. Er hatte St. James' Frage nach Deborah mißverstanden.
»Vielleicht wartest du hier draußen, bis ich fertig bin«, sagte St. James zu Lynley und ging ins Haus zurück.
Schritt für Schritt ging St. James um den Toten herum und machte Aufnahmen aus jedem Blickwinkel, einen ganzen Film. Danach zog er die Tür hinter sich zu und ging hinaus zu den anderen. Einige Nachbarn hatten sich eingefunden. Sie standen etwas abseits und tuschelten hinter vorgehaltener Hand miteinander.
»Bringt Nancy hinein«, sagte St. James.
Helen zögerte kurz, ehe sie Nancy mit sich in die Küche zog, einen länglichen
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