04 - Mein ist die Rache
Sashas Schulter gestützt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie warf einen verstohlenen Blick zu Lynley und machte mit gesenkter Stimme eine Bemerkung, die Peter nicht beachtete.
»Auf den vollkommenen Bruder«, sagte er. »Dem es nach langer, intensiver Suche landauf, landab - wobei er natürlich nicht versäumt hat, hinreichend Kostproben zu nehmen, stimmt's, Tommy? - endlich gelungen ist, die vollkommene Frau zu finden, mit der er nun das vollkommene Leben führen kann. Auf Lord Asherton, den unvergleichlichen Glückspilz!« Er kippte schlürfend seinen Champagner hinunter und ließ sich grinsend auf seinen Stuhl zurückfallen.
Das war's, dachte St. James. Er wollte sehen, wie Lynley auf diese Herausforderung reagieren würde, aber sein Blick fiel statt dessen auf Deborah. Sie war blutrot im Gesicht und hielt den Kopf gesenkt. Ihre Beschämung war ungerechtfertigt und unnötig in Anbetracht der Ecke, aus welcher der Angriff erfolgt war, dennoch trieb sie St. James zu handeln. Er schob seinen Stuhl zurück und stand mühsam auf.
»Über das Wesen der Vollkommenheit kann man lang und ausführlich debattieren«, sagte er. »Ich bin nicht eloquent genug, um mich hier darüber auszulassen. Ich trinke statt dessen auf Tommy - meinen ältesten Freund - und auf Deborah - liebste Gefährtin meines Exils. Ihr beide habt mein Leben reicher gemacht.«
Allgemeiner Applaus folgte seinen Worten, dann hob der Abgeordnete von Plymouth sein Glas und schaffte es, seinen Glückwunsch in eine Parteirede zu verwandeln, in der er auf all seine persönlichen Leistungen hinwies sowie auf seinen festen, wenn auch wahrscheinlich irrigen Glauben an die Wiederbelebung der Bergbauindustrie in Cornwall, eine Idee, für die sich Lady Augusta mehrere Minuten lang aufs wärmste einsetzte. Danach war klar, daß Peter Lynleys Versuch, Zwietracht zu säen, ein Schlag ins Wasser gewesen und die versammelte Gesellschaft eisern entschlossen war, ihn zu ignorieren. Daze Asherton kam dem mit der Ankündigung entgegen, daß im Salon Kaffee, Port und sonstige Genüsse auf die Gäste warteten.
Im Gegensatz zum Speisezimmer mit dem silbernen Lüster und den unaufdringlichen Wandleuchten lag der Salon von zwei großen Kristalleuchtern in strahlendes Licht getaucht. Auf einem Büffet war zum Kaffee gedeckt, auf einem Tisch daneben standen Brandy, Liköre und Gläser. Mit seinem Kaffee in der Hand ging St. James zu einem Sofa, das mitten im Raum stand, setzte sich und stellte den Kaffee neben sich auf einem Beistelltisch ab. Er wollte ihn eigentlich gar nicht, wußte nicht, warum er ihn überhaupt genommen hatte.
»Meine Liebe«, Lady Augusta hatte Deborah am Flügel festgenagelt, »Sie müssen mir erzählen, was für Veränderungen Sie hier geplant haben.«
»Veränderungen?« fragte Deborah verblüfft.
»Die Kinderzimmer müssen doch unbedingt renoviert werden. Das haben Sie gewiß schon gesehen.«
»Ich habe eigentlich noch gar keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken.«
»Ich weiß, Sie haben ein sehr interessantes Hobby, Sie fotografieren, nicht wahr? Daze hat es mir letzte Woche schon erzählt. Aber ich stelle mit Erleichterung fest, daß Sie nicht zu dem Typ Frauen zu gehören scheinen, die wegen einer Karriere das Kinderkriegen bis in alle Ewigkeit aufschieben.« Wie um sich zu vergewissern, trat sie etwas zurück und betrachtete Deborah so kritisch wie eine Pferdezüchterin eine neue Stute.
»Ich bin Berufsfotografin«, sagte Deborah mit höflicher Betonung.
Lady Augusta fegte das weg wie eine lästige Fliege. »Aber das wird Sie nicht davon abhalten, Kinder in die Welt zu setzen.«
Dr. Trenarrow, der gerade in der Nähe war, kam Deborah zu Hilfe. »Die Zeiten haben sich geändert, Augusta. Wir leben nicht mehr in einer Ära, wo man an seiner Fruchtbarkeit gemessen wird. Gott sei Dank. Denken Sie an die unbegrenzten Möglichkeiten, die im Verzicht auf Zeugung liegen. Keine weitere Verwässerung des familiären Genmaterials. Eine Zukunft ohne Bluter. Kein Veitstanz mehr.«
»Ach, ihr Wissenschaftler mit euren fixen Ideen«, entgegnete Lady Augusta, doch sie war immerhin betreten genug, um sich ein anderes Opfer zu suchen, und steuerte John Penellin an, der mit einem Glas Brandy in der Hand am Durchgang zur elisabethanischen Galerie stand.
St. James beobachtete sie, wie sie mit flatternder Stola dem Verwalter entgegensegelte, und hörte sie sagen: »Um noch einmal auf die Bergwerke zurückzukommen, Mr. Penellin«, ehe er sich
Weitere Kostenlose Bücher