04 Verhaengnisvolles Schweigen
Ende eines Turmes hatte er nie verspürt.
»Wofür ist der gut?«, fragte er.
»Du kannst Fragen stellen. Natürlich zur Show.«
»Was ist im oberen Teil?«
»Ein Restaurant, was sonst? Und natürlich eine Disco. Das ist der Gipfel der westlichen Zivilisation. Eine Meisterleistung, die den ägyptischen Pyramiden und der Kathedrale von Chartres ebenbürtig ist.«
»Eine Disco?«
»Ja. Ernsthaft. Oh, wie konnte ich das vergessen: Das Ding dient nebenbei auch als Radio- und Fernsehsendeturm. Jetzt sind wir in Downtown.«
Auf einer Art erhöhter Rampe rollte die Schnellstraße an Reklametafeln und Rückseiten von Lagerhäusern vorbei. Da die Gebäude so nahe waren, verstärkte sich der Eindruck der Fahrgeschwindigkeit. Banks kam sich vor wie auf einer Achterbahn.
Schließlich bog Gerry ab, fuhr durch ein brachliegendes Industriegebiet dreckiger alter Fabriken mit freiliegenden Rohrleitungen und kam dann auf eine belebte Straße. Die meisten Gebäude sahen ziemlich alt und verkommen aus, und Banks fiel bald auf, dass fast alle Ladenschilder mit chinesischen Schriftzeichen versehen waren. In den Schaufenstern hingen kopfüber gebratene Enten, und auf dem Bürgersteig vor den Lebensmittelgeschäften standen überall Obst- und Gemüsestände. Über einem Laden war ein handgeschriebenes Schild angebracht, auf dem die geheimnisvolle Kombination von LEBENDEN KRABBEN & VIDEOS angeboten wurde. Auf der Straße wimmelte es von Menschen, hauptsächlich Chinesen, die sich um die Auslagen drängelten, die Waren begutachteten und um den besten Preis feilschten. Der strenge Geruch von in der Hitze verdorbenem Essen vermischte sich mit dem Aroma exotischer Gewürze und wehte mitsamt der erdrückenden Luft in den Wagen. Neben ihnen ratterte eine rot-cremefarbene Straßenbahn auf ihren Schienen entlang.
»East Chinatown«, sagte Gerry. »Jetzt ist es nicht mehr weit.«
Er fuhr die Straße weiter, vorbei an einem Gefängnis und einem Krankenhaus. Zur Linken erstreckte sich ein breites, grünes Tal. Neben der Straße senkte es sich wie eine riesige Rasenfläche in einen breiten Grund, unten führte parallel zu einem braunen Fluss eine stark befahrene Schnellstraße entlang. Über den Bäumen der gegenüberliegenden Seite schimmerten die Hochhäuser Downtowns wie graue, verschwommene Flecken in der flimmernden Hitze. Gerry bog nach rechts in eine Allee und fuhr in die Auffahrt eines kleinen Backsteinhauses mit grünweißem Vorbau.
»Zu Hause«, verkündete er. »Ich wohne im Erdgeschoss, oben wohnt ein junges Paar. Sie sind normalerweise ziemlich leise, also hast du keinen Krach zu befürchten.« Er steckte seinen Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. »Komm rein. Ich brauche jetzt unbedingt ein kaltes Bier.«
Die Wohnung war klein und spärlich eingerichtet - anscheinend mit Gebrauchtmöbeln vom Flohmarkt -, aber sie war sauber und gemütlich. Die Regale und alle möglichen Ecken waren mit Büchern vollgestopft. Die Gristhorpes schienen wirklich alle große Leser zu sein, dachte Banks.
Gerry führte ihn in die kleine Küche und nahm zwei Dosen Budweiser aus dem Kühlschrank. Banks öffnete den Verschluss und ließ das eisgekühlte, leicht malzige Bier durch die Kehle laufen. Als Gerry zum Trinken den Kopf in den Nacken legte, hüpfte sein Adamsapfel wild umher.
»Schon besser«, sagte er und wischte sich die Lippen ab. »Tut mir leid, dass es so heiß hier drin ist, aber ich kann mir keine Klimaanlage leisten. Ich habe allerdings schon schlimmer gewohnt. Hier gibt es einen guten Durchzug, und nachts kühlt es ein bisschen ab.«
»Wie heißt dieser Stadtteil?«, wollte Banks wissen.
»Riverdale. Ist in den letzten Jahren ziemlich yuppiemäßig geworden. Die Grundstückspreise sind wie verrückt in die Höhe geschossen. Wenn du bis zur Ecke hochgehst oder mit dem Streetcar fährst, dann siehst du die schlimmsten Auswucherungen. An der Danforth Avenue. Früher waren dort griechische Cafes, Restaurants und rund um die Uhr geöffnete Obst- und Gemüseläden. Jetzt gibt es da nur noch Bioläden, Buchhandlungen und Bistros mit langstieligen Weingläsern und Tischdecken in Korallenrosa. Na ja, wenn man's mag.«
»Und wenn nicht?«
»Ein paar einfache Läden gibt es noch. Samstagnachmittags wird im Black Swan guter Blues gespielt. Und dann gibt es das Quinn's, kein schlechter Pub. Ein paar griechische Lokale sind auch noch da, aber ich stehe nicht so auf
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