0411 - Der Herold des Satans
Übung darin. Vorsicht war geboten.
Jean war ein Mensch, der keine Rücksicht nahm.
Er zertrat das Buschwerk einfach. Zwei Schritte noch, dann stand er vor mir, die Mündung zeigte nach wie vor auf mich. Jetzt drückte er sie mir gegen die Stirn. Der Lauf verschwamm vor meinen Augen. Ich hörte ein Grunzen und ein rauhes Lachen.
»Wenn ich jetzt abdrücke, bleibt von deinem Schädel nichts mehr zurück, Zehentreter.«
Ich wurde frecher. »Das wagst du nicht.«
»Glaubst du?«
»Ja!«
»Du hast recht.«
Mutig schaute ich an dieser breitbeinig dastehenden Gestalt hoch, sah das Gesicht. Es kam mir vor wie ein weicher Teigklumpen.
Wer war dieser Jean?
Wirklich nur ein Leibwächter und Chauffeur? Daran konnte ich nicht glauben. Hinter dieser brutalen Maske musste mehr stecken, als ich bisher angenommen hatte.
»Du wirst jetzt langsam aufstehen und deinen Kumpel über die Schulter werfen.«
»Was ist dann?«
»Ich sage es dir noch.« Er zog die Mündung zurück und hob meine Beretta auf, die er sofort verschwinden ließ. Dabei behielt mich seine Waffe immer unter Kontrolle.
»Beweg dich!«
»Nimm erst die Hunde weg!«
Er zog scharf den Atem ein. »Du wärst nicht der Erste, den sie zerrissen hätten.«
»Gehen sie auch an Werwölfe heran?«
Jean kümmerte sich nicht um meine Frage, sondern gab wieder einen zischenden Befehl.
Die Bluthunde, schon regelrechte Kälber, gehorchten aufs Wort.
Geschickt drehten sie ab, blieben aber in angespannter Haltung hinter mir und ließen mich nicht aus den Augen.
Ich stand auf, um mich anschließend wieder zu bücken. Zum Glück war Gress kein Schwergewicht. Ich wuchtete ihn über die Schulter.
Jean starrte mich an. »Du bist hergekommen, um dir das Schloss anzusehen. Das kannst du jetzt haben. Geh vor!«
Ich blieb noch stehen. »Wohin denn?«
»Wie es sich für Besucher gehört. Wir werden durch den Vordereingang das Schloss betreten.«
Vordereingang war leicht untertrieben. Das war schon alles verdammt prunkvoll. Der Eingang passte zu diesem großen Palast. Als ich ihn fast erreicht hatte, spürte ich das Gewicht des bewusstlosen Reporters. Meine linke Schulter wurde allmählich taub. Die Freitreppe hatte ich bei unserer Ankunft nur vage wahrgenommen. Jetzt musste ich sie hochsteigen.
Es waren sehr breite, geschwungene Stufen. Bestimmt waren berühmtere Menschen als ich über die Stufen gegangen, aber wohl kaum jemand, der einen Bewusstlosen über seiner Schulter liegen hatte.
Die Bluthunde begleiteten mich. Sie kontrollierten jeden Schritt.
Ich konnte keine Bewegung machen, ohne dass sie nicht registriert worden wäre.
Da die Tür erst noch geöffnet werden musste, glitt Jean an mir vorbei. Ich sah zwei eiserne Klopfer, aber auch eine große Klinke, die mein Bewacher nach unten drückte.
Er musste Kraft aufwenden, um die Tür aufzuziehen. Siebestand aus massivem Holz. Kunstschreiner hatten sie mit zahlreichen Motiven, Bildern und Intarsien versehen.
In der Halle blieb ich staunend stehen.
Ich habe in meinem Leben schon oft Schlosshallen betreten, aber nie eine von diesen Ausmaßen. Das war schon gewaltig und phänomenal. Allein der Fußboden war es wert, länger betrachtet zu werden, denn er bestand aus bestem Parkett und wurde angestrahlt von einem überdimensionalen Leuchter, der sicherlich ein Vermögen gekostet hatte.
Die Renaissance hatte hier prächtige Urständ gefeiert. Das erkannte ich auch an den wertvollen Teppichen, die wie Seide glänzten und sicherlich aus China stammten.
Mein Blick war in die Halle gefallen. Im Gegensatz zu dem des Leibwächters Jean, der hinter mir stand und nur meinen Rücken sah.
Ein wenig deplaziert wirkten in all dieser Pracht die beiden kälbergroßen Bluthunde, deren Augen jetzt rot gerändert waren.
»Du kannst ihn ablegen!«
Damit war Gress gemeint. Ich ließ ihn von meiner Schulter gleiten und bugsierte ihn vorsichtig auf einen der wertvollen Seidenteppiche. Dann richtete ich mich auf. Es tat gut, das Gewicht nicht mehr zu spüren. Die linke Armseite war schon fast taub geworden.
Wie ging es weiter? Dass man mich nicht stundenlang hier stehen lassen würde, war mir klar. Jean gehörte nicht zu den Typen, die Befehle gaben, höchstens an die Hunde. Ansonsten nahm er sie selbst entgegen.
So wartete ich.
Und ich hörte Schritte.
Zuerst rechnete ich mit der Ankunft von Madame. Das war nicht der Fall. Mit Gress hatte ich darüber gesprochen, dass ein Schloss wie dieses nur mit einem großen Personalaufwand
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