0417 - Die Straße der Gräber
mehr erleben konnte?
Verdammt, wenn ich nur frei gewesen wäre.
Ich versuchte es weiter.
Schon einige Male hatte ich feststellen können, daß die Laterne doch nicht so stabil war, wie es den Anschein gehabt hatte, und deshalb strengte ich mich an.
Ich warf mich nach vorn und spürte die Stricke, die durch die Kleidung in meine Haut schnitten. Sie raubten mir die Luft.
Ich mußte mich wieder zurücklehnen und versuchte es erneut.
Diesmal mit noch mehr Kraft.
Und die Laterne hielt nicht mehr stand. Sie löste sich aus ihrer Verankerung und riß mich zu Boden.
Ich schlug auf, die Laterne ebenfalls. Ich hörte etwassplittern, aber ich war noch immer gefesselt, und der lange Pfahl drückte gegen meinen Rücken. Viel hatte ich mit dieser anstrengenden Aktion nicht gewonnen – oder doch? Verflixt, die Fesseln hatten sich tatsächlich gelockert. Wenn ich die Arme bewegte, hatte ich mehr Spielraum, besonders bei meinem linken Arm, und deshalb versuchte ich, ihn aus der Schlinge zu zerren. Mit einigem Erfolg.
Ich lag im Schlamm, vor mir sah ich die Kreuze fahlweiß in die Höhe wachsen und mußte vor Erleichterung lachen. Das war geschafft. Den Rest konnte man als Kinderspiel bezeichnen. Ich benötigte nur ein wenig Geschick, um mich auch von den restlichen Stricken zu befreien.
Frei – endlich!
Ich stand auf.
Sehr langsam, nicht überhastet, holte tief Luft und spürte genau, wo die Stricke gesessen hatten.
Die Gelenke waren geschwollen. Es würden wohl einige blaue Flecken zurückbleiben. Mir war es egal, ich wollte endlich wissen, welches Drama in diesem Dorf ablief.
Meine eigene Zeit konnte ich vergessen. Durch die Verschiebung war ich tief in der Vergangenheit gelandet, mußte mich ein- und umstellen, aber ich hoffte stark, in meine Zeit zurückkehren zu können. Nicht zum erstenmal hatte es mich in eine längst zurückliegende Zeit verschlagen.
Zunächst einmal sah ich mir die Kreuze an. Die Laterne lag seitlich des Halbkreises, den die Kreuze gebildet hatten. Die Splitter der zerstörten Kuppel hatten sich fast bis an den Straßenrand verteilt. Sie blitzten wie kleine Spiegel.
Ich klopfte gegen das Holz der Kreuze, das heißt, ich wollte es, aber ich konnte sie nicht berühren. Ich faßte hindurch! Sie waren nicht existent.
Im ersten Augenblick war ich so geschockt, daß ich einen Schritt zurückwich und den Kopf schüttelte. Allmählich dämmerte mir, daß es zwei verschiedene Zeitebenen gab. Ich war Gegenwart, und um mich herum lebte die Vergangenheit.
Wieder einmal ein magisches Phänomen, dessen Ausläufer ich leider nicht kannte.
Was blieb mir?
Eines nur. Ich mußte das Dorf genau inspizieren und mir die Menschen sowie das Leben und Treiben anschauen. Zudem stand noch das Wissen um die vier Horror-Reiter wie eine gefährliche Drohung in meinem Rücken. Noch war von ihnen nichts zu sehen.
Aber wer waren die sieben, die in dieser Zeit schon einmal gelebt hatten? Das Dorf war nicht ausgestorben. Trotz der relativ wenigen Häuser sah ich zahlreiche Menschen, und sie gehörten nicht alle zu den Bewohnern, denn es befanden sich auch Fremde darunter.
Soldaten!
Mehr Söldner allerdings, denn ihre Uniformen sahen nicht einheitlich aus. Die Männer hielten sich mehr in der Ortsmitte auf, wo es einen großen Pferdestall gab, in dem und vor dem sie ihre Tiere abgestellt hatten.
Der Stall war mein Ziel.
Ich schritt neben zwei Kindern her, die sich an den Händen hielten, sich dabei unterhielten und mich nicht sahen. Leider konnte ich ihre Worte nicht hören. Ich begleitete sie auch weiterhin, bis ich die Dorfmitte erreichte, wo ich neben dem Stall stehenblieb.
Ich drückte mich mit dem Rücken gegen die Wand und befand mich so in einer relativ sicheren Deckung.
Die Hektik war mir schon zu Beginn aufgefallen. Und sie nahm auch weiterhin nicht ab. Das Gegenteil war eher der Fall. Ich hatte das Gefühl, als würden die Menschen auf ein ganz bestimmtes Ereignis warten.
Mein Blick glitt zum Himmel hoch.
Der Mond war fast voll. Sein blasses Licht fiel auf die sieben Kreuze, die sieben Gräber anzeigten.
Neben mir stand plötzlich ein schwarzhaariger Mann. Er sah wüst aus. Er konnte einem Angst einjagen. Mit zwei Degen war er bewaffnet. Sein fettiges Haar fiel bis auf die Schultern, der Bart wucherte wie dunkles Unkraut in seinem Gesicht, und über seine normale Kleidung hatte er einen langen Mantel gestreift, dessen Saum fast den Boden berührte. In der rechten Hand hielt er einen Krug mit Wein. Hin
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