0419 - Die Klinik der tödlichen Träume
starrte ich auf den Fußboden vor meiner Schulter. Die Säure begann meine Haut zu zerfressen, und die Starre löste sich nicht. Ich begann, tief und gleichmäßig zu atmen. Vielleicht brauchte ich nur etwas Ruhe. Ich achtete nicht mehr auf den Schmerz, der wie ein gleichmäßig näherkommendes Feuer an mir riß und zerrte, und atmete aus und ein — aus und ein. Allmählich ging mein Atem ruhiger, mein Herz schlug regelmäßiger.
Ich schloß die Augen und übte weiter.
Plötzlich hörte ich Stimmen! Die Frau.
Ich hörte ganz deutlich die Frau, die jammerte und immer wieder sagte:
»Es ist zu spät. Das war das Letzte, was uns blieb!«
Der Mann antwortete ihr nicht, aber ich konnte ihn brummen hören. Dann plötzlich rief er laut:
»Aber immerhin haben wir noch seinen Wagen! Der ist zwar auffällig, aber wir kommen viel schneller voran als mit dem alten Buick! Wir werden ihn nehmen und über die Grenze kommen?«
»Aber was nützt uns das? Es ist ein G-man gewesen! Sie werden ihn überall suchen!«
»Wir versuchen, nach Kanada zu kommen. Zu Fred nach Ottawa, da wird uns niemand vermuten.«
»Dort werden sie uns sofort vermuten!«
Ich hörte ihre Schritte, die über den Kies knirschten, ich hörte die Tür meines eigenen Jaguars klappen. Eine Sekunde lang schöpfte ich Hoffnung. Ich hatte doch abgeschlossen! Sie mußten zurückkommen, um sich die Autoschlüssel zu holen. Aber dann fiel auch diese Hoffnung in sich zusammen. Ich hatte vorhin, als ich das Messer holen wollte und plötzlich Top bellen hörte, Die Tür offengelassen. Der Schlüssel steckte noch.
Die zweite Tür wurde geöffnet.
In diesem Augenblick erfüllte ein schauerliches Geräusch den Raum. Draußen schrie die Frau auf. Ich brauchte einen Moment, um zu bemerken, daß ich selbst das Unartikulierte Stöhnen ausgestoßen hatte. Ich holte tief Luft und — schrie noch einmal, und wieder kam es mir fremd vor.
Die Frau kreischte hystericsh: »Mach doch! Fahr los!«
Ich brüllte zum zweitenmal: »Hilfe! Hilfe!«
Endlich schienen sie zu kapieren. Ihre hastigen Schritte kamen auf die Kabine zugelaufen. Sie tauchten in der Tür auf. Starrten auf mich, waren einen Moment unfähig, sich zu bewegen, bis ich sie anfauchte:
»Holt mich raus!«
Sie schienen aufzuwachen und packten mich unter den Armen und Beinen. Sie zitterten, wie Espenlaub.
»Ich war nur gelähmt«, erklärte ich. Meine Sätze wurden immer deutlicher, immer klarer. Mein Mund begann sich wieder wie e,in Mund anzufühlen und nicht wie eine pelzige Hasenpfote.
Der Mann sagte: »Wir dachten. Sie wären tot!« während die Frau unentwegt wimmerte.
Sie legten mich in dem düsteren Wohnraum auf ein Sofa, dessen Federn schon hervorstachen.
Ich sagte dem Mann, er solle die nächste Polizeidienststelle anrufen und einen kurzen Bericht von dem Vorfall geben.
Er nickte und rannte hinaus. Die Frau begann, sich an dem Herd zu schaffen zu machen. Ich sagte:
»Und meine Brieftasche hätte ich auch gern wieder!«
Sie holte die Ledermappe unter ihrer Schürze hervor und steckte sie mir in das Jackett. Das erinnerte mich wieder an den Schmerz, den ich die letzten Minuten vergessen hatte. Aber er war noch da. Unmißverständlich.
Ich sah mich um.
»Können Sie mir schnell eine Seifenlauge machen? Muß nicht viel sein!«
Sie nickte und begann mit verschiedenen alten Packungen und heißem Wasser herumzuwirtschaften. Ich konnte mich noch immer nicht bewegen, aber mein Hals wurde allmählich freier, und ich spürte ein Kribbeln im linken Arm, das mir zeigte, daß ich Fortschritte machte.
Mit einem Eimer voll Seifenlauge kam die Frau an das Sofa. In dem Moment kam auch der Mann zurück. Verlegen blieb er an der Tür stehen. Seine Augen waren blutunterlaufen, und sein Atem ging stoßweise. Er war ein Trinker, der lange nichts mehr getrunken hatte.
»Sie kommen gleich!« sagte er heiser.
»Helfen Sie Ihrer Frau, mein Jackett auszuziehen!« sagte ich. Er kam,herüber, und zu zweit zogen Sie den Ärmel ab und schmierten eine dicke Schicht von der Lauge auf meine Schulter.
»Wie sieht es denn aus?« fragte ich aufatmend.
»Es… Es… ist gar nicht so schlimm!« würgte die Frau hervor. Ich antwortete nicht. Ich beobachtete meine linke Hand. Ich konnte jetzt schon die Finger bewegen und mit einiger Anstrengung den Arm abbiegen. Erschöpft schloß ich die Augen.
***
Als die Polizisten kamen, merkte ich, daß ich kurz eingenickt war. Ich hörte, wie sie sich draußen zu schaffen machten, dann ging
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