0420 - Der Magier von Lyon
entschuldigen, weil ich früher als vereinbart kam, und…«
Thibaut winkte ab. »Bitte, Monsieur. Sie hatten Ihre Gründe. Darf ich erfahren, wer mich Ihnen empfohlen hat?«
»Vaultier, ein Geschäftsfreund«, sagte Zamorra.
»Ach, der gute Henri Vaultier. Seit er geheiratet hat, hat er sich stark verändert, finden Sie nicht auch?«
»Geheiratet?« Unwillkürlich beugte Zamorra sich vor. Er konnte sich nicht erinnern, einen Trauring an Vaultiers Hand gesehen zu haben. Andere Ringe, ja. Aber kein Erlaubnis-Ring für lebenslänglich Glück oder Krieg. »Daß Vaultier verheiratet ist, ist mir neu, aber so gut kennen wir uns auch wieder nicht. Rein geschäftlich…«
»Verzeihen Sie, Monsieur«, sagte Thibaut. »Ich habe etwas verwechselt. Ich bin noch ein wenig… konfus. Ich pflege sehr spät aufzustehen und brauche eine Weile, bis mein Gehirn gewissermaßen warmläuft.«
Zamorra nickte. Es schien eine Fangfrage gewesen zu sein. Einen ersten Test hatte er anscheinend bestanden. Aber warum wollte Thibaut ihn testen?
Es sah so aus, als habe der Magier Zamorras Foto erfreulicherweise noch nie gesehen. Im Moment des Eintretens und des gegenseitigen Abschätzens hatte er vergeblich auf eine versteckte Reaktion des Erkennens gewartet. Thibaut schien ahnungslos zu sein und sich in Kreisen der Parapsychologen zumindest nicht persönlich auszukennen. Ein Indiz dafür, daß er sich nicht besonders tief in die Materie versenkt haben konnte und tatsächlich kaum mehr als ein Scharlatan war. Aber andererseits hatte er Zamorras Wunsch nach Kaffee bereits erfaßt, als dieser ihn gerade in Gedanken formulierte. Aber auch Tibor Thibaut war es unmöglich, Zamorras Gedanken zu lesen, es sei denn, der Professor öffnete die Sperre in seinem Gehirn für Thibaut. Diese Sperre, die jeden telepathischen Tastversuch ablenkte und die Zamorra und seinen Gefährten, denen er den posthypnotischen Block ebenfalls eingepflanzt hatte, schon des öfteren das Leben gerettet hatte, wenn Dämonen oder dämonische Geister zwar die Anwesenheit des Bewußtseins spüren konnten, aber nicht in der Lage waren, konkrete Gedanken zu erfassen und damit ahnungslos blieben, was geheime Pläne anging.
Zamorra musterte Thibaut. Von dem Magier ging nichts Düsteres aus, das auf Schwarze Magie hinwies. Er strahlte Ruhe aus, die auf Zamorra überzugreifen begann. Bewußt blockte Zamorra seine Sinne ab, um sich nicht unterschwellig beeinflussen zu lassen. Thibaut sah gepflegt aus, war leger, aber dennoch elegant gekleidet, und in seinen dunklen Augen lag etwas, das Zamorra nicht auf Anhieb definieren konnte.
Thibaut seinerseits schien Zamorra auch genau zu taxieren. Für ein paar Sekunden fühlte Zamorra sich unbehaglich. Etwas schien kühl über ihn hinwegzufließen und versuchte ihn zu durchdringen, glitt aber ab. In diesem Moment war er froh, das Amulett draußen im Wagen gelassen zu haben. Falls Thibaut Möglichkeiten besaß, seine Ausstrahlung zu spüren, hätte er mißtrauisch werden können. Andererseits war es Zamorra möglich, im Notfall dieses Amulett mit einem magischen Befehl zu sich zu rufen. Auch Wände waren dabei kein Hindernis.
Plötzlich wankte sein Urteil von gestern. Dieser Magier schien doch mehr zu sein als ein Scharlatan, der seinen Klienten nur das Geld aus der Tasche zog und damit seinen aufwendigen Lebensstil finanzierte. Daran änderte auch nichts mehr, daß der Name Tibor Thibaut zu schön war um wahr sein zu können. Vermutlich hatte der Magier sich damit einen Künstlernamen zugelegt.
Zamorra ahnte, daß es nicht so leicht sein würde, Thibaut zu durchschauen, wie er es ursprünglich gedacht hatte. Herkommen, sich eine halbe oder ganze Stunde mit ihm unterhalten und wieder gehen…
So leicht verdienten sich die 75 000 Francs für die De-Blaussec-Stiftung wohl doch nicht…
Kaffee und Tee wurden gebracht. Der junge Mann, der hier das Faktotum spielte, zog sich stumm wieder zurück.
»Vaultier glaubte, daß Sie mir ebenso helfen könnten wie ihm«, nahm Zamorra den Faden wieder auf. »Er ist nach seinen sieben Sitzungen recht zufrieden, so daß er Sie weiterempfiehlt…«
»Zufrieden sah er nach den beiden letzten Malen nicht gerade aus, das muß ich Ihnen offen gestehen«, sagte Thibaut. »Deshalb wundert mich diese Empfehlung etwas. Aber wenn er Ihnen so viel von mir vorgeschwärmt hat, wird er Ihnen auch mitgeteilt haben, was eine Sitzung bei mir kostet. Er kann sich das bei seinem Einkommen leisten, Sie aber kenne ich
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