0431 - Der Gentleman-Killer
wahnsinnig geworden sein, denn er verballerte sein ganzes Magazin auf den Lift. Ich preßte mich an die Seitenwand, die er nicht erreichen konnte, wenn er seinen Standort nicht verließ. Dann war es plötzlich still. Die U-Bahn war vorbei, sein Magazin war leer. Ich sah die Faust des zweiten Mannes, der den ersten zurückriß, dann war ich allein. Ich schob, mich vorsichtig vor, der Lift schwankte, und ich merkte, daß er im nächsten Moment abstürzen würde und nur irgendwie festgehakt war. Vorsichtig schob ich mich durch das zerschossene Fenster. Meine Schultern waren etwas zu Breit, mein Jackett riß die restlichen Glassplitter heraus. Ich saß fest.
Dann merkte ich, wie sich der Lift durch die Gewichtsverlagerung löste. Ich hing fest, sein Gewicht würde mich zerquetschen.
In dem Moment wurde ich plötzlich gepackt und flog wie ein Korken aus der Flasche. Hinter mir krachte der Holzkasten in die Tiefe. Ich sah noch einen Moment lang den schwarzen riesigen Metallaufbau des Motors, dann hörte ich schon den krachenden Aufprall im Keller. Ich richtete mich auf. Mein Jackett war zerfetzt. Einen Teil davon hielt mein Freund Phil in der Hand. Seelenruhig sagte er:
»Es gibt auch bequemere Arten, in den Keller zu kommen!«
»Oder in den Himmel!«, knurrte ich und nahm ihm die Reste, meiner Jacke ab.
***
Ich erzählte hastig, was passiert war. »Hast du die beiden gesehen, als sie hinausrannten?« fragte ich. Phil schüttelte den Kopf.
»Nein, der Ausgang ist abgeriegelt, die Ablösung für unseren Mann ist angekommen.«
»Dann bleibt den Kerlen nur der Weg nach hinten, durch den Keller und über die Gleise, komm!«
Wir liefen die Treppen hinunter, kamen auf den muffigen Vorplatz zu einer grau gestrichenen Metalltür, die von einer Feder zurückgezogen wurde und sich noch leicht bewegte. Phil erreichte sie als erster und stieß sie wieder auf. Sie quietschte in den Angeln, aber wir konnten deutlich die Schritte der fliehenden Männer hören. Der Keller bestand aus einem riesigen, nicht unterteilten Raum, dessen eine Hälfte mit ein paar Autos, Reifen und alten Kisten gefüllt war, die andere diente als Aufbewahrungsort für altes Gerümpel, das sich in einem alten Haus ansammelt und von niemandem weggebracht wird.
Wir kletterten über einen Kistenstapel, der mit einer fingerdicken Staubschicht bedeckt war. Vor uns hörten wir die Schritte, die plötzlich anhielten, dann das Kreischen einer nicht geölten Tür, und gleich darauf war das ganze Gewölbe wieder von dem Dröhnen eines vörbeibrausenden Zuges erfüllt. Unwillkürlich blieben wir stehen und warteten. Der Zug war so dicht am Haus vorbeigefahren, daß hier unten die Kisten und Balken bebten.
Als wir die große Tür, deren Querbalken noch immer offen war, erreichten, erkannten wir den Grund. Das erste Gleis lief direkt an dem Haus entlang, nur durch einen etwa zwei Fuß breiten Schotterstreifen und einen zerfetzten Drahtmaschenzaun von der Kellertür getrennt.
Der Zug war durch und verschwand ein paar hundert Yard weiter wieder unter der Erde. Die Luft war nach dem feuchten Kellermief wie eine trockene heiße Dunstglocke und warf uns im ersten Moment wie eine Mauer zurück. Die Umrisse der beiden Männer sprangen wie Schatten vor den roten und grünen Signallichtem über die Schienen und verschwanden hinter einem abgestellten Rangierwagen. Ich setzte über den niedrigen Draht und kletterte den rutschenden Schotter hinauf. Phil wandte sich auf die rechte Seite, um den Gangstern den Weg zur Straße hin abzuschneiden. Vor mir lagen die silbrig schimmernden Geleise, die sich nach kurzer Zeit trennten und zur Eight Avenue führten, oder bei der O-Busstation der Canarsie Line endeten.
Einen dieser Wege würden die Gangster nehmen.
Aber welchen?
Ich lief mit langen Sätzen über das freie Schotterfeld und sprang über eine neue Gleisgruppe. Ich hörte jetzt keine Schritte mehr. Auch Phil hatte ich aus den Augen verloren. Auf der einen Seite ragten die verrußten Mauern des U-Bahntunnels hoch, auf der anderen blinkten die Neonlichter der Nachtbars und die winzigen Badezimmerfenster auf der Rückseite des Hauses Nummer 26.
Ich hatte zwei Möglichkeiten. An den Gleisen entlang bis zur Haltestelle zu laufen oder die abgestellten Waggons, die wie riesige Särge aus der Dunkelheit aufragten, abzusuchen. In dem einen Fall konnte ich von einem Zug überrollt werden, im anderen Fall hatten die Gangster unter Umständen eine gute Gelegenheit, mich von hinten aufs
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