0467 - Der Nebelmörder
ihre eigenen vier Wände sie gleichzeitig abstießen. Sobald es im Filmgeschäft besser für sie lief, wollte sie sich eine andere Wohnung suchen.
Vorerst musste sie in dieser Gegend bleiben, die vor Jahren einmal zu einer vornehmen gehört hatte. Jetzt waren viele Häuser vergammelt. Die meisten Besitzer dachten nicht daran, sie renovieren zu lassen.
Die Tüte trug sie in der linken Hand. Die rechte hatte sie in der Manteltasche vergraben. Ziemlich schnell lief sie den Weg zurück. Es herrschte kaum Betrieb, auch der Supermarkt war ziemlich leer gewesen. Wer nicht unbedingt hinaus musste, der blieb in der Wohnung.
Lorraine Carr hörte ihre eigenen Schritte und gleichzeitig ein anderes Geräusch.
Es waren helle, metallisch klingende Laute, die dicht aufeinander folgten, als wäre jemand dabei, mit einem eisernen Gegenstand über ein Gitter zu schaben.
Lorraine blieb stehen.
Das andere Geräusch klang noch einmal kurz auf, dann verstummte es ebenfalls.
Die junge Schauspielerin bekam Angst. Sie drehte den Kopf nach rechts.
Dort befand sich der Bauzaun. An manchen Stellen klafften kleine Lücken oder Risse, aber die junge Frau traute sich nicht, einen Blick durch eine der Öffnungen zu werfen, denn das unheimlich klingende Geräusch war jenseits des Zaunes ertönt.
Sie ging weiter.
Zuerst langsam, dann etwas schneller, und prompt hörte sie wieder dieses harte Klingen, das jetzt sogar einen schmetternden Unterton hatte und den Weg der Frau begleitete.
Lorraine begann vor Angst zu zittern und lief schneller, um den Zaun möglichst rasch hinter sich zu lassen.
Da passierte es.
Die Schauspielerin bemerkte es kaum, weil der Vorgang einfach zu schnell ablief.
Dicht vor ihr knackte es. Das Holz des Bauzauns brach auf. Eine Latte war durchstoßen worden und hätte sie beinahe im Gesicht verletzt.
Wäre sie nur einen halben Schritt schneller gewesen, wäre sie nicht mehr am Leben gewesen.
So starrte sie auf die breite und beidseitig geschliffene Klinge des Killermessers…
***
Lorraine Carr stand auf der Stelle wie angeleimt. Sie konnte sich nicht bewegen und spürte auch nicht, dass ihr Splitter ins Gesicht geschleudert worden waren und in der Haut feststeckten.
Sie sah nur das Messer.
Eine Klinge, die sie kannte.
Der Nebelmörder hatte sie benutzt. Aber das war im Film gewesen. Hier befand sie sich in der Wirklichkeit.
Dann reagierte sie so, wie es in einem Drehbuch hätte stehen können.
Lorraine öffnete die linke Faust, die Tüte rutschte zu Boden, kippte um, die gekauften Lebensmittel rollten heraus. Eine Flasche zerbrach dabei.
Roter Wein breitete sich wie Blut auf dem Boden aus, und Lorraine riss den Mund auf.
Sie schrie und schrie!
Das Gesicht verzerrt, die Augen tränenverschleiert. Zitternd stand sie auf dem Gehsteig und brüllte ihre Angst heraus.
Sie sah nicht, dass die Klinge ebenso rasch verschwand, wie sie erschienen war, hörte nicht die Schritte herbeieilender Passanten und kam erst wieder richtig zu sich, als ihr jemand etwas gegen die Lippen presste, sie eine Flüssigkeit spürte und diese automatisch schluckte. Es war Whisky, der über die Zunge lief, in ihrer Kehle brannte, als wäre sie mit einer Säure gespült worden.
»Okay, noch einen kleinen Schluck!« hörte sie die ruhig klingende Stimme eines Mannes. »Dann sehen wir weiter.«
Sie trank. Anschließend atmete sie schwer. Ihr Herz raste noch immer, und auch ihr Blick klärte sich nur allmählich. Fünf Passanten hielten sie umringt. Von zweien wurde sie gestützt, und man bestürmte sie mit Fragen.
Lorraine gab keine Antwort. Sie drehte den Kopf so weit, dass sie durch eine Lücke den Bauzaun sah, der fast zum Greifen nahe war.
Sie sah auch das zerstörte Brett, und Angst stahl sich wieder in ihren Blick.
»Was haben Sie denn?« fragte der Mann, der ihr zu trinken gegeben hatte.
»Der Zaun!« flüsterte Lorraine. »Dahinter hat einer gestanden und rammte ein Messer durch das Brett. Es war schlimm, ganz furchtbar. Ich… ich konnte nicht mehr.«
Die Passanten schauten auf die Stelle. Ein Mann ging hin und riss die Latte ganz aus dem Verbund. Er streckte seinen Kopf hindurch, zog sich aber schnell wieder zurück und gesellte sich achselzuckend zu den Wartenden. »Sorry, ich habe nichts gesehen. Nur Nebel, aber kein Messer.«
»Es war aber da, das können Sie mir glauben.«
»Sicher, wir glauben Ihnen ja. Wollen Sie vielleicht zu einem Arzt, Miss…?«
»Nein, auf keinen Fall. Ich wohne hier in der Nähe.«
»Ja«,
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