0467 - Der Nebelmörder
sagte jemand, »das ist die Schauspielerin.«
»Die aus den Gruselfilmen?«
»Ja.«
»Dann sind ihr die Geister wohl jetzt erschienen.«
Lorraine Carr hörte die Sätze, als sie ihre Einkaufstüte wieder vollpackte und die Scherben der zerbrochenen Flasche anschließend mit dem Fuß in den Rinnstein schob.
Lorraine blickte nicht einmal zurück. Sie musste auch weiterhin parallel zum Bauzaun laufen, hielt aber jetzt Abstand. Mehr stolpernd als normal gehend, erreichte sie das Wohnhaus und drückte die Tür auf.
Die Kinder spielten noch immer im Flur. Sie sahen nicht zu ihr, auch als Lorraine an ihnen vorbeilief, die Treppe hochtaumelte und ihre Wohnung betrat.
Mit dem Fuß hämmerte sie die Tür zu und ließ sich Sekunden später in einen Sessel fallen, um sofort nach den Zigaretten zu greifen. Allmählich beruhigte sie sich. Sie hatte die Stiefel ausgezogen, den Mantel aufgeknöpft und die Beine ausgestreckt.
Zwei Zigaretten rauchte sie direkt hintereinander, und sie bemühte sich, nicht an diesen fürchterlichen Vorfall zu denken, der sie beinahe das Leben gekostet hätte.
Das war kein Film gewesen, die Klinge hatte so verdammt echt ausgesehen. Jemand hatte sie umbringen wollen.
Die Zigarette schleuderte sie in den Ascher, bevor sie die Hände hochriss und vor das Gesicht presste. Ein Mord hatte geschehen sollen, ein echter Mord.
Und sie wäre das Opfer gewesen!
Natürlich dachte sie an die Vorkommnisse der vergangenen Nacht, wo der Nebelmörder so grausam zugeschlagen hatte. War er es vielleicht gewesen, der auf sie gelauert hatte?
Ja, der Täter hatte das gleiche Messer benutzt. Dass er sie verfehlt hatte, verdankte sie einem Zufall. Und die metallisch klingende Warnung hatte sie ebenfalls genau gehört.
Das harte Schrillen des Telefons schreckte Lorraine aus ihren Gedanken. Sie sprang förmlich auf und sah aus wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwacht war. Konsterniert blickte sie sich um. Dann erst merkte sie, dass der Apparat schellte.
Sie hob ab, war aber nicht in der Lage, ihren Namen zu nennen. Das brauchte sie auch nicht, denn die offenbar verstellte Stimme sagte: »Du bist es, Lorraine.«
»Ja.«
»Das ist gut.«
Lorraine umklammerte den roten Hörer hart. Diese flüsternde Stimme war einfach fürchterlich. Sie brachte nicht nur einen akustischen Klang mit, Lorraine glaubte, auch das Wissen um Tod und Verderben herauszuhören. Eine nicht ausgesprochene, schlimme Warnung. Sie wunderte sich selbst, dass sie eine Frage stellen konnte.
»Wer… Wer sind Sie?«
»Dein Mörder!«
»Nein, ich… ich habe Ihnen nichts getan…«
»Doch, Lorraine, das hast du. Du hast mich an andere verraten. Deshalb werde ich dich holen. Hast du die Warnung nicht verstanden, die ich dir mit auf den Weg gab? Noch hast du Glück gehabt, aber warte, ich bin immer bei dir, und ich habe einen Begleiter, der sich dir ebenfalls zeigen wird. Schau zum Fenster! Los, schau hin!«
Sie tat es.
Es war der Zwang und die Macht der Stimme, die sie gehorchen ließ. Sie sah auf die Scheibe, die sich als grauer viereckiger Ausschnitt innerhalb der gelblichen Tapete abzeichnete. Sie sah ferner, dass sich hinter dem Glas etwas bewegte.
Nicht nur die Nebelschwaden…
Auch etwas anderes schob sich von unten her in die Höhe und nahm innerhalb der grauen Wolken Gestalt an.
Ein Skelettschädel!
Rötlich schimmernd, mit bleichen, dünnen Haaren belegt, die zu beiden Seiten herabfielen.
Lorraine erstarrte vor Angst. Nur ihre linke Hand, die den Hörer hielt, öffnete sich.
Der Hörer fiel zu Boden. Er landete auf einem Teppich, so dass er nicht zerstört wurde. Und aus ihm quäkte die flüsternde und gleichzeitig grausame Stimme.
»Der Tod, Lorraine. Das ist der Tod, den du da am Fenster siehst. Er ist mein Begleiter und auch mein Beschützer. Der Tod, Lorraine, der Tod…«
Die Schauspielerin konnte nicht mehr. Sie rannte weg und warf sich bäuchlings auf die Couch, wobei sie ihr Gesicht in die Zierkissen presste, damit der Schrei erstickt wurde.
Aus dem Hörer aber drang weiter die flüsternde und grausam klingende Stimme.
»Der Tod, Lorraine… ihm entgeht niemand…«
Die Skelettfratze hinter der Scheibe grinste dazu…
***
Es roch nach Qualm, Parfüm und einer warmen Feuchtigkeit, die in der Kleidung der versammelten Menschen steckte.
Nicht nur die Hauptdarsteller waren erschienen. Dino Faretti hatte auch die Leute angerufen, die in Nebenrollen auftraten und nun gemeinsam mit den anderen auf den Regisseur
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