0474 - Der Hexenstein
ich ehrlich sein soll. Ich glaube eher, daß sie ihren Helfer, den Zombie vorschickt, damit er uns zuerst aufs Korn nimmt.«
»Den müßten wir schaffen.«
»Im Prinzip ja. Aber diese Wesen sind auch hinterlistig und gemein, wenn Sie verstehen.«
»Sie denken an eine Falle?«
»Genau.«
Stahlmenger sah sich um. »Ja, die Schlucht ist wie geschaffen dafür. Aber wo sollen wir anfangen, können Sie mir das sagen? Wahrscheinlich müssen wir die Schlucht durchwandern und damit rechnen, daß hinter jedem Vorsprung oder jeder Kehre das Grauen lauert.«
»Dieses Risiko müssen wir eingehen. Es gibt keinen anderen Weg.«
Er nickte.
»Noch können Sie fliegen, Heinz. Ich nehme den Kampf gegen die beiden auch allein auf.«
Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe vor zwei Jahren nicht gekniffen und werde es auch jetzt nicht tun.«
»Okay.«
Wir warfen noch einen letzten Blick auf den Hexenstein, bevor wir uns in Bewegung setzten.
Heinz Stahlmenger gab mir noch einige Instruktionen über Länge und Beschaffenheit des Schluchtwegs. »Wir müssen außerdem zwei Tunnel durchqueren.«
Ich blieb stehen. »Sind sie sehr lang?«
»Nein, aber düster.«
»Also ideal für einen Angriff.«
»Das kann man sagen.«
»Bleiben Sie auf jeden Fall hinter mir, Heinz. Wenn die Hexe und der Zombie erscheinen, übernehme ich die Sache.«
»Ist klar.«
Nur noch wenige Schritte waren es bis zur Brücke. Unter ihr lagen zahlreiche Steinhaufen. Manche Felsen wirkten wie die Wurfgeschosse von Titanen. Das Wasser umspülte sie, und wo es nicht hinkam, schimmerte blankes Eis auf dem Gestein.
Ich dachte an meinen Bumerang. Unter Umständen mußte ich ihn gegen die Hexe einsetzen. Über ihre Größe und über ihr Aussehen war ich nicht informiert. Sie konnte klein wie ein Zwerg sein, aber auch übergroß wie ein Riese.
Alles war möglich…
Auf der Brücke fühlte ich mich seltsamerweise etwas unwohl. Ich hatte den Eindruck, als würde das Gestein unter dem Schnee leicht zittern. Das konnte ich mir jedoch auch einbilden. Andererseits traute ich es der Hexe zu, daß sie die Brücke zerstörte.
Als wir die Mitte erreicht hatten, passierte es. Der Angriff erfolgte urplötzlich, aber er traf uns nicht direkt, wir wurden auch nicht verletzt, nur hatte die Hexe unter der Brücke gelauert und schoß nun mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit hervor.
Beide schraken wir zusammen, als wir das unheimliche Heulen und Pfeifen vernahmen, das ihren Auftritt begleitete. An der rechten Seite des mit Schnee bedeckten, breiten Steingeländers der Brücke sahen wir ihre Gestalt in die Höhe schießen.
Ein dunkelroter kometenhafter Streifen. Ein fürchterliches Gesicht, übergroß, faltig, runzelig, häßlich, mit einer gebogenen Knochennase, ballongroßen Augen und einem widerlichen Maul, das offenstand und dabei gebogen war wie ein liegender Halbmond.
Zwei lange Arme wischten uns entgegen. Beide erhielten wir einen Schlag, der uns in den Schnee schleuderte. Vor unseren Augen jagte die Hexe als rötliches Wesen in die Höhe, so daß sie sogar das Ende der Felswand erreichte und dort verschwand, als würde sie in das Gestein hineinkriechen.
Wir rappelten uns hoch. Automatisch klopften wir uns den pappigen Schnee ab, als wir uns dabei umsahen.
»Sie ist weg!«
Stahlmenger hatte die Worte so leise gesprochen, daß ich sie praktisch von seinen Lippen ablesen mußte. Ich nickte.
»Aber sie wird zurückkehren. Das war nur der Auftakt«, sagte ich.
»Sollen wir weitergehen?«
»Sicher. Vergessen Sie nicht, daß es noch einen zweiten Gegner gibt, den wir nicht unterschätzen dürfen.«
»Aber einen Zombie können Sie mit einer Kugel aus geweihtem Silber erledigen, John.« Fast beschwörend blickte mich Heinz bei diesen Worten an. Er hatte die Brille abgenommen, um die Gläser vom Schnee zu reinigen.
»Sie haben recht. Nur müssen wir daran denken, daß er sich bewaffnet hat. Wurde bei der Untersuchung der Leichen nicht festgestellt, daß die Wunden von Axthieben stammten?«
»So ist es.«
»Er wird die Axt noch in seinem Besitz haben.« Nach diesen Worten ging ich weiter und verließ die Brücke.
Wir sahen die Spuren im Schnee, auch die des Fahrzeugs, das von Kandersteg hochgekommen war und dessen Fahrer die Toten gefunden hatte. Obwohl mich das Tosen des Wassers umgab, kam ich mir einsam vor. Diese Schlucht war wirklich bedrückend. Sie konnte einen Menschen schon gemütskrank machen. Die Schatten nahmen an Dichte zu. Zahlreiche Stellen und
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