0482 - ... dann jagten wir ihn 30 Stunden
eng an die Bordwand des Laderaumes. Sekunden später tauchte draußen eine zweite Gestalt auf. Sie blieb kurz stehen. Dann klang es wie ein Gongschlag durch die Nacht. Der zweite Mann hatte mit seiner Stiefelspitze gegen die Gasflasche getreten.
Jetzt erst erschien er begriffen zu haben, dass etwas passiert sein musste. Er wandte sich der offen stehenden Laderaumtür zu.
Wieder war meine Zeit gekommen. Ich sprang ihn von oben an, traf ihn auf den Schultern. Er knickte um. Mit voller Wucht hatte ich ihn getroffen, und mit der gleichen Wucht stürzte ich nun ins Leere. Um den harten Anprall aufzufangen, machte ich eine Rolle vorwärts.
Doch ehe ich wieder auf den Beinen stand, erhob sich auch mein Gegner wieder. Er war mir sogar etwas voraus, denn er hielt bereits eine Pistole in der Hand.
»Pfoten hoch«, forderte er.
Mir blieb nichts anderes übrig, als den Befehl zu befolgen. Er hatte nicht gerade das beste Büchsenlicht. Es war ziemlich dunkel, und die Autoscheinwerfer strahlten nach der anderen Seite.
Blitzschnell orientierte ich mich. Wir standen in einem Park, der von zwei großen Straßen begrenzt wurde. Der Fahrzeit nach zu urteilen, konnte es nur der Seward Park zwischen dem East Broadway und der Essex Street sein.
Es hatte angefangen zu regnen, und der Park war menschenleer. Links und rechts hinter mir krochen lange Autokolonnen durch den Abend.
Ich aber stand allein vor dem Pistolenlauf eines Gangsters, dessen Schießfreudigkeit und Mordlust mir in den letzten Stunden genügend bekannt geworden waren.
»Wer bist du?«, schnauzte er mich an.
In dieser Frage glaubte ich eine Chance zu erkennen. Wenn er neugierig war oder es sein musste, würde er auf jeden Fall nicht sofort schießen. Ich entschloss mich deshalb, den Geheimnisvollen zu spielen.
»Ich bin der Rächer«, sagte ich deshalb theatralisch.
Er lachte kurz und trocken. »Weißt du, was wir mit Rächern und derartigen Burschen machen?«
Ich antwortete ihm mit einer Gegenfrage. »Weißt du, was dir bevorsteht?«
Er zögerte einen Moment mit seiner Antwort. Doch diese Sekunde brachte die Entscheidung.
Irgendwo ganz in der Nähe heulte die Sirene eines Polizeifahrzeuges auf. Aus den Augenwinkeln sah ich das zuckende Licht eines roten Scheinwerfers.
»Zu spät für dich«, sagte mein Gegner.
Und dann knackte es.
***
»Fertig!«, sagte der Protokollführer. »Fertig!«, stöhnte Scotty Rock.
Phil hatte ihm genügend Zeit gegeben, in Ruhe über die Sache nachzudenken. Scotty Rock war ein Gangster, und er kannte die Gesetze der Unterwelt: Wenn er jetzt kein umfassendes Geständnis ablegen würde, brauchte er keinen Cent mehr für sein Leben zu geben. Er war Hauptbelastungszeuge für einen Mörder. So lange Scotty Rock lebte, würde dieser Mörder keinen anderen Wunsch haben, als ihn, Scotty Rock, so schnell wie möglich zu beseitigen. Deshalb musste Scotty Rock singen. Es lag in seinem eigenen Interesse, dass wir den Fall so schnell wie möglich klären konnten. Erst dann wuchsen nämlich wieder seine Überlebenschancen an.
»Wer waren die drei Mörder heute Mittag in Daddys Place?«, lautete Phils erste Fragen.
»Es waren Bloody, Pistolenbill, und Ernie«, sagte Scotty Rock. Man merkte ihm an, wie schwer ihm dieses Geständnis fiel.
Phils nächste Frage wischte ihn fast vom Stuhl: »Welcher Ernie? Ernie Venez oder Ernie Madrida?«
»Verdammt, das wisst Ihr schon?«, stammelte Scotty Rock entgeistert.
Phil und Brandenburg nickten wie zwei Reklamefiguren.
Scotty Rock schien jetzt gekränkt zu sein. »Und weshalb zieht ihr mich dann noch mit hinein?«
Phil lachte. »Warum sollen wir nicht?«
»Ich war immerhin derjenige, der heute Mittag dafür gesorgt hat, dass die Polizei kam.«
Scotty schien tatsächlich beleidigt zu sein.
»Rock, Sie vergessen eines«, sagte Phil. »Sie mögen zwar dafür gesorgt haben, dass die Polizei benachrichtig wurde. Sie waren aber auch derjenige, der einen Mörder kannte und sich durch sein anfängliches Schweigen einer Begünstigung schuldig gemacht hat. Hätten Sie gleich gesprochen, dann wäre es möglich gewesen, die Mörder ziemlich schnell zu fassen. Das ist die Schuld, die Sie in diesem Fall auf sich geladen haben. Spielen Sie also bitte nicht den Beleidigten. Nur, wenn Sie jetzt offen und ehrlich sind, kann sich das möglicherweise vor Gericht für Sie günstig auswirken. Es kommt allerdings darauf an, was Sie sonst noch auf dem Kerbholz haben.«
Mit diesem Hinweis hatte Phil die Sachlage
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