0490 - Höllen-See
Worte waren leiser geworden. Der letzte Satz bestand nur aus einem Flüstern. Dann fielen ihm die Augenlider zu, der Körper erschlaffte, einen Moment später war der Mann eingeschlafen.
»Hat er genug gesagt?« fragte Dr. Stant.
Sir James hob die Schultern. »Wir hoffen es zumindest.«
»Was sollen wir mit dem Mann machen?«
»Lassen Sie ihn in die Krankenstation bringen und überwachen. Wir müssen uns um andere Dinge kümmern.«
»Geht in Ordnung, Sir.«
Suko wurde noch angerufen. Die Kollegen von der Fahndung hatten herausgefunden, daß Slim Blocker zu den Typen gehörte, die in der Zuhälterszene einen Namen hatten. Im vergangenen Jahr allerdings war er nicht mehr aufgefallen.
»Klar«, sagte Suko, nachdem er sich bedankt und aufgelegt hatte. »Da quälten ihn andere Sorgen.«
»Kommen Sie«, sagte Sir James. »Fahren wir in mein Büro.«
»Und wie geht es weiter?«
»Wollen Sie nicht auch die Insel im Norden finden?«
»Sehr gern, Sir.«
»Dann wollen wir uns beeilen.«
»Diesmal ohne John Sinclair«, murmelte Suko so leise, daß nur er es hören konnte. »Wenn das mal gutgeht…«
Seine Sorgen um den Geisterjäger wuchsen…
***
Und die waren berechtigt, denn mir ging es nicht gut. Ebensowenig wie meiner Begleiterin, Chrysantheme, die man auch an Händen und Füßen gefesselt hatte.
Seltsamerweise ging es mir trotzdem relativ gut. In meinem Kopf befand sich diesmal kein Bergwerk, in dem Tausende von zwergenhaften Arbeitern das Gehirn malträtierten. Übel war mir auch nicht, ich fühlte mich nur so verdammt wehrlos, und das paßte mir überhaupt nicht. Wenn ich mich bewegen wollte, konnte ich mich auf die Seiten drehen, ansonsten mußte ich auf dem Rücken liegenbleiben.
Neben mir lag Chrysantheme. Sie war ebenfalls erwacht und hatte das gleiche hinter sich wie ich.
Ein rotes Licht, dann der Wirbel, der Trichter, der uns hineinriß, die Bewußtlosigkeit.
»Jetzt stecken wir ganz schön in der Scheiße«, flüsterte sie in ihrer Art, Situationen zu beschreiben.
»Das kannst du wohl sagen.«
»Und was machen wir?«
»Nichts. Oder kannst du etwas?«
Sie begann zu lachen. »Dabei habe ich immer gedacht, ihr Bullen gehört zu den Supermännern.«
»Das habe ich nie behauptet.«
»Aber viele von euch benehmen sich so.«
»Ausnahmen.«
»Ach, Sinclair, was soll der Mist? Wir hängen drin, fertig. Ich weiß nicht, was mit meinen Kolleginnen passiert ist, aber uns steht das gleiche bevor.« Ihre Stimme bekam einen Knacks und versiegte. Dann hörte ich das Mädchen weinen.
Ich hätte Chrysantheme gern getröstet, aber was sollte ich ihr sagen? Daß alles halb so schlimm wäre? Dann hätte ich gelogen. Es war schlimm, es war sogar verdammt schlimm. Und es stellte sich wirklich die Frage, ob wir hier herauskamen oder nicht.
Wir wußten nicht einmal, wo wir uns befanden. Nirgendwo brannte Licht. Wir lagen im Finstern, aber ich roch Öl und Abgase. Als ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Entschluß, in einer Fabrikhalle zu liegen.
Das konnte gut hinkommen. In London gab es verdammt viele dieser Hallen. Wer uns hier finden wollte, konnte monatelang suchen, ohne mich zu finden.
Chrysantheme begann wieder zu sprechen. »Kannst du mir sagen, weshalb sie uns nicht erschossen haben?«
»Eigentlich nicht. Aber ich schätze, daß sie etwas mit uns vorhaben.«
»Das Paradies, wie?«
»So ähnlich.«
»Und da wartet dann der Prophet, dieses Arschloch.«
»Kann sein.«
»Verdammt, Bulle, schrei doch endlich! Tu was. Reiß die Stricke auseinander, aber rede nicht immer so einen Bockmist. Du liegst hier und…«
»Ich bin gefesselt.«
»Kriegst du die Dinger denn nicht los?«
»Dann wären wir beide schon frei.«
»Ach verdammt!« Sie hob die Beine an und hämmerte die Hacken wütend auf den kalten und schmutzigen Steinboden.
Das half auch nichts. Sie reagierte sich wenigstens ab. Ich dachte darüber nach, was unsere Gegner mit uns vorhaben könnten. Dabei kam ich immer auf das Paradies, wo der große Prophet wartete.
Wahrscheinlich war es eine Todesfalle, die uns schlucken würde.
Den vertrauten Druck an der linken Seite spürte ich nicht mehr. Man hatte mir die Beretta abgenommen, aber das Kreuz hatte sie wohl nicht interessiert. Es lag noch auf meiner Brust.
Ein ratterndes Geräusch schwang durch die Halle. Gleichzeitig wurde es hell.
Ich richtete mich mit dem Oberkörper auf, schaute nach vorn und sah, daß jemand ein Rolltor hochgezogen hatte. Durch das große Rechteck streute
Weitere Kostenlose Bücher