0493 - Janes Umkehr
Wende war alles anders gekommen. Da hatte er sich demjenigen zugewandt, der ihm Erfolg, Reichtum und höchsten Genuß versprach.
Dinge, die für Jerry Stern außerordentlich wichtig waren und worüber er die wahren Werte des Lebens vergaß.
Daß man ihm eines Tages die Rechnung präsentieren würde, lag auf der Hand, doch darüber dachte der Wirtschaftsanwalt, der wieder einen Fall zu seinen Gunsten hatte entscheiden können, nicht länger nach, als er in seinem Büro vor dem Fenster stand und zum Picadilly schaute, wo sich der Verkehr mal wieder ballte.
Es war gut und hob das Image, eine Adresse im Herzen Londons zu haben. Zudem befanden sich die großen Niederlassungen der in- und ausländischen Firmen in unmittelbarer Umgebung der Praxis.
Wer etwas auf sich hielt und rauchte, der tat es bei der Zigarre nicht unter einer Davidoff. So hielt es auch Jerry Stern. Er zündete sich einen dieser Torpedos an und steckte ihn zwischen die Zähne. Sehr lässig sah er aus in seiner modernen, schwarzen, dünnen Sommerhose mit den ausgestellten Bundfalten. Auch das schneeweiße Hemd zeigte einen sportlichen Anstrich, wie auch die farbige Blumenkrawatte, die er dazu und zu der grünen Jacke trug.
Stern kleidete sich sehr modisch, nicht so konservativ wie die meisten seiner Kollegen, und man hatte ihn so akzeptiert. Selbst die stocktrockenen Briten.
Er beschäftigte noch zwei Angestellte, einen Sekretär und eine Sekretärin, die heimlich in den hochgewachsenen Anwalt mit dem dunklen, etwas dünnen Haar verliebt war. Stern hatte ein scharfkantiges Gesicht und die Augen eines Raubvogels. Ein Solarium sorgte für eine immer gleichbleibende Bräune am gesamten Körper.
Stern verdiente und genoß das Leben.
Lässig drehte er sich um und trat vom Fenster zurück. Er schaute in sein Büro, das, im Gegensatz zu den meisten Räumen, fünf Ecken hatte und mehr kreisförmig errichtet war.
Die modernen Möbel paßten gut zu den alten, hellen Teppichen, deren Farben noch vorhanden waren und lange Jahrhunderte überdauert hatten.
Momentan dachte er darüber nach, wo er die Mittagspause verbringen wollte. In der Nähe hatte ein Stehimbiß der gehobenen Klasse eröffnet, wo die Geschäftsleute aus der Umgebung am Mittag ihre teuren Kleinigkeiten aßen und dazu Champagner tranken.
Da wollte er mal wieder hin, außerdem hatte er nach erfolgreicher Beendigung des Falls einen guten Grund.
Es klopfte. Er wußte, daß es Sandra, seine Sekretärin, war. Sie öffnete auch die Tür, lächelte und wurde - wie so oft - ein wenig rot, als sie den Anwalt anschaute.
»Was gibt es, Sandra?« fragte er aufgeräumt.
»Ich gehe jetzt zu Tisch, Mr. Stern.«
»Gut.« Stern deutete zum Fenster. »Ein herrliches Wetter, nicht wahr?«
»Ja, Sir.«
»Bleiben Sie ruhig eine Stunde länger, Sandra, es steht ja nichts mehr auf dem Terminplan - oder?«
»Nein, Sir, für heute nachmittag nicht. Ich werde noch einiges an Ablage erledigen können. Und vielen Dank, Sir.«
»Wofür?« Stern schlenderte auf Sandra zu.
»Für… für…« Sie geriet ins Stottern. »Für die Verlängerung der Pause, Sir.«
»Wie oft haben Sie keine Pause gemacht?«
»Na ja, ich meine.« Sie hob die Schultern, die von dem Stoff einer schwarzweiß karierten Bluse umspannt wurden. Das Kleidungsstück hatte pumpige Ärmel, dafür zeichnete der enge, dunkle Rock die Figur der jungen Frau gut nach.
Stern legte beide Hände auf Sandras Schultern. Sie erschauderte. Er amüsierte sich innerlich darüber. »Irgendwann, meine Liebe, lade ich Sie mal am Abend zum Essen ein.«
Ihre Augen leuchteten. »Wirklich, Sir?«
»Ja, vielleicht noch in dieser Woche.«
»Danke, Mr. Stern.«
»Jetzt gehen Sie aber in die Pause, sonst essen Ihnen die anderen Gäste noch alles weg.«
»Ja; Mr. Stern, natürlich.« Mit hochrotem Kopf lief sie hinaus, und Stern amüsierte sich köstlich.
Obwohl er ein Typ war, der bei kaum einer Frau nein sagte, würde er sich hüten, mit Sandra ins Bett zu gehen. Sollte sie ruhig weiter für ihn schwärmen und auch träumen.
Die Tür zum Vorzimmer hatte sie nicht geschlossen. Er hörte noch, daß Sandra ihren Schreibtisch aufräumte und den Raum dann verließ.
Draußen schien die Sonne. Sie badete den Piccadilly in ihrem herrlichen Schein.
Stern steckte noch Geld ein, das in einem kleinen Tresor lag, und wollte sich zum Gehen wenden, als er aus dem Vorzimmer ein Geräusch hörte. Das waren vorsichtig gesetzte Schritte, als wäre ein Dieb dabei, das Büro zu
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