0498 - Der Schatten des Killers
ich mir ausmalen.
Aber dennoch! Bis jetzt hatte ich noch keine Ahnung, wer hinter all den Verbrechen steckte. Bis jetzt war ich in dieser Nacht nur gehetzt, hatte mit Phil einen Killer gestellt und verhaftet und sollte mit diesem hier zusammen sterben. Warum das alles, warum? Ich mußte es einfach wissen, und wenn es das letzte war, was in mein Bewußtsein drang.
»Für Jack den Henker«, sagte René leise. Er starrte mich unverwandt an, wagte nicht mehr, den Blick zu heben. Das Surren der herannahenden Fahrstuhlkabine verstärkte sich.
Ich wußte, warum René nur mich anschaute. Er wollte den Tod nicht sehen. Den Tod, der langsam, aber unaufhaltsam auf uns zuglitt.
Der Fahrstuhl hatte das Erdgeschoß erreicht. Er hielt nicht an! Er glitt weiter. Auf den Keller zu. Auf uns zu. In jeder Sekunde näherte er sich um ein paar Yard.
»Wer ist Jack der Henker?« fragte ich. Mein Gaumen war so trocken, daß ich kaum noch sprechen konnte. Jedes Wort klang wie ein heiseres Krächzen.
»Ich weiß nicht, ich weiß es nicht. Warum fragst du, wir müssen doch gleich sterben.«
»Du hast es nicht anders gewollt, René«, gab ich zur Antwort. »Du kannst mir jetzt noch die Pistole geben, dann schaffen wir es noch, aus dem Schacht zu entkommen.«
»Um in Sing-Sing zu landen? Niemals! Dann sterben wir hier gemeinsam.«
»Warum hast du die Morde ausgeführt?« fragte ich René.
»Sie brachten dem Boß Geld«, gab der Killer zurück.
»Warum?«
»Weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß die Morde das Startkapital für den Boß waren. Sie verstärkten nicht nur seine Macht, sie verschafften ihm auch das nötige Geld.«
»Wofür?« fragte ich schnell. Die Fahrstuhlkabine war jetzt schon so tief, daß ihr Schatten auf uns fiel. Sie glitt nur noch ganz langsam tiefer. Zoll um Zoll bewegte sie sich auf uns zu.
Das ist bei vielen Fahrstühlen so. Die Kellerstation laufen sie nur ganz langsam an, um auszupendeln. Man will auf diese Art die Lager schonen, auf denen der Fahrstuhl läuft.
Für uns war dieses langsame Vorkriechen der Stahlkabine die Hölle. Auf uns kam der Tod im Schneckentempo zu.
Ich wollte nicht daran denken. Deshalb fragte ich weiter: »Wozu braucht er Geld? Was macht er mit dem Startkapital?«
René starrte mich an. Er schien mich nicht mehr richtig zu sehen. »Um das Syndikat Freddy Steffanos zu übernehmen!« keuchte er.
Im gleichen Augenblick spürte ich die Fahrstuhlkabine an meinem Kopf. Das kalte, harte Metall ratschte über mein Haar. Einen Augenblick war ich wie gelähmt. Dann warf ich mich nach vorn.
Eigentlich war das Unsinn. Ich preßte mich gegen den Rost am Boden und wartete. Aber was hatte ich damit erreicht? Der Tod würde ein paar Sekunden später kommen. Mehr nicht!
René schrie laut auf. Er warf sich ebenfalls zu Boden. Dann hob er die Waffe. »Nein!« schrie er laut. »Nein, ich will nicht sterben! Ich will nicht!«
Seine Stimme klang unheimlich hohl und schrill in dem kleinen Raum, der uns jetzt noch verblieb. Der Killer drückte seine Pistole ab. Jaulend schossen die Kugeln gegen die Stahlwand der Kabine. Schrill schilpten sie als Querschläger ‘zurück und klatschten durch den Rost, auf dem wir lagen. Wie durch ein Wunder wurde keiner von uns beiden getroffen. Was René machte, war heller Wahnsinn. Doch was war kein Wahnsinn in dieser Situation? Jede Handlung, jeder Gedanke war nutzlos, falsch. Wir mußten sterben!
René reichte mir die Pistole. »Da, G-man!« heulte er auf. »Da hast du sie. Und jetzt schließe die Tür auf. Los, schließ die Tür auf!«
Ich schüttelte den Kopf. »Zu spät, René. Zu spät. Daß ihr Killer erst immer alles zu spät einseht. Die Kabine ist Schon viel zu tief.«
René weinte. Er schluchzte wie ein kleines Kind und hämmerte mit den Fäusten auf dem Rost herum, bis ihm die Finger bluteten.
Ich lag ganz still da und preßte mein Gesicht zwischen die Stäbe. Vielleicht fällt der Strom aus, dachte ich. Gleichzeitig wußte ich, daß das . Unsinn war. So etwas passiert eben nur im Kino. Dann gibt es zum Schluß immer noch eine glückliche Wendung. In unserem Fall würde das anders sein.
Die Fahrstuhlkabine rutschte immer tiefer, ich preßte mich fester gegen die Gitterstäbe des Rostes.
»Nein! Nein!« heulte René neben mir. Aus den Augenwinkeln sah ich ihn.
Das ist also das Ende des Jerry Cotton, dachte ich. Neben einem Killer stirbt er in einem schmutzigen Fahrstuhlschacht. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich vor meinem Auge die Bronzetafel
Weitere Kostenlose Bücher