05 - Der Schatz im Silbersee
ehe die Wächter den Vorgang recht begriffen. Sie stießen ihre Warnungsrufe zu spät aus, denn schon drangen die Gefangenen durch den Wald dem See entgegen. Old Shatterhand war allen voran, hinter ihm kamen Winnetou und Firehand.
Die Häuptlinge saßen noch immer beratend an ihrem Feuer. Es war eine hochwillkommene Aufgabe für sie, die denkbar fürchterlichsten Qualen, an denen die Weißen und der Apache sterben sollten, in Vorschlag zu bringen und zu besprechen. Da hörten sie zwar den Ruf der Wächter, aber zugleich sahen sie die Gestalten der Befreiten auf sich zukommen – einige Sekunden später waren sie zu Boden geworfen, entwaffnet und gebunden.
Die Weißen griffen nach ihren in der Nähe liegenden Gewehren, ungefragt, ob jeder sein eigenes erwische. Als die Wächter nun unter den letzten Bäumen erschienen, sahen sie ihre Anführer am Boden liegen, und daneben knieten einige Weiße mit gezückten Messern, augenblicklich bereit, die Häuptlinge zu erstechen. Hinter dieser Gruppe standen die andern mit angelegten Gewehren. Die Roten fuhren erschrocken zurück, um ein Wutgeheul auszustoßen, welches die übrigen schnell herbeirief.
Old Shatterhand durfte es nicht zum Angriff kommen lassen. Mit lauter Stimme verkündigte er den Tod der Häuptlinge, sobald man versuche, dieselben zu befreien. Er forderte, daß die Roten sich zurückziehen sollten, worauf er dann mit ihren Anführern in friedlicher Weise verhandeln werde.
Es war ein entscheidender Augenblick, ein Augenblick, an welchem Tod und Leben hing, und zwar nicht von wenigen, sondern von vielen. Die Indianer standen unter dem Schutz der Bäume; die Weißen waren vom Feuer hell beschienen, aber es war gar nicht zu zweifeln, daß beim ersten Schuß die drohenden Messer sich in die Herzen der Häuptlinge senken würden.
„Bleibt dort!“ rief der ‚Große Wolf‘ seinen Leuten zu. „Ich werde mit den Bleichgesichtern sprechen.“
„Mit dir haben wir nichts zu verhandeln“, antwortete Old Shatterhand. „Die andern mögen reden.“
„Warum nicht ich?“
„Weil dein Mund voller Lügen ist.“
„Ich werde die Wahrheit reden.“
„Das versprachst du schon immer, ohne es zu halten. Du hast mir vorhin befohlen, nur dann zu sprechen, wenn ich gefragt werde. Jetzt bin nicht ich mehr dein Gefangener, sondern du bist der meinige, und ich gebe dir ganz denselben Befehl. Wenn du redest, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, bekommst du ohne Gnade das Messer in das Herz gestoßen. – Wie heißt du?“
Diese Frage wurde an den ältesten der Anführer gerichtet. Er antwortete: „ Kun-pui (Feuerherz) ist mein Name. Gebt mich frei, so werde ich mit euch sprechen!“
„Frei wirst du sein, aber erst dann, wenn wir gesprochen haben und ihr mit dem, was wir verlangen, einverstanden seid.“
„Was fordert ihr? Die Freiheit?“
„Nein, denn die haben wir bereits und werden sie uns nicht wieder nehmen lassen. Rufe zunächst fünf deiner vornehmsten Krieger herbei!“
„Was sollen sie?“
„Das wirst du nachher hören. Rufe sie schnell, sonst verlieren die Messer, welche über euch gezückt sind, die Geduld!“
„Ich muß überlegen, wen ich wähle.“
Das sagte er nur, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, ob es wirklich notwendig sei, den Befehl Old Shatterhands zu befolgen. Das war diesem nicht unlieb, denn während der Pause, welche dadurch entstand, fanden die Weißen Gelegenheit, sich das ihnen geraubte Eigentum anzueignen. Freilich sahen sie sich nicht vollständig befriedigt, denn es gab keinen unter ihnen, dem nicht irgendein Gegenstand noch fehlte. Endlich nannte ‚Feuerherz‘ fünf Namen, und die Träger derselben mußten herbeikommen, ihre Waffen aber zurücklassen. Sie setzten sich nieder, um zu warten, was nun kommen werde. Sie glaubten zu vernehmen, was von ihnen verlangt werde, zunächst aber hörten sie etwas andres. Old Shatterhand hatte nämlich, als die Häuptlinge niedergestreckt und gebunden wurden, seinen Stutzen einstweilen fallenlassen; jetzt hob er ihn wieder auf. Das Auge des ‚Großen Wolfes‘ fiel auf das Gewehr und voller Entsetzen schrie er auf: „Die Zauberflinte, die Zauberflinte! Sie ist wieder da; die Geister haben sie ihm durch die Luft gebracht! Rührt sie nicht an; rührt auch ihn nicht an, sonst kostet's euch das Leben!“
„Die Zauberflinte, die Zauberflinte!“ hörte man die Stimmen der erschrockenen Yampa-Utahs drüben unter den Bäumen.
Shatterhand gebot dem ‚Wolf‘ Schweigen und wendete sich
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