0506 - Das unheimliche Grab
»Ich kann es nicht, ich muß bleiben oder Bescheid sagen.«
Galinka Bachmann schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre ein Fehler. Vertraue mir. Wir sind doch beide Rumänen.«
»Wie kommst du hierher?«
»Das ist eine andere Geschichte. Du wirst sie hören, wenn du mir folgst.«
»Und wohin gehen wir?«
»In den Wald.«
Dimitrou schreckte zurück. »Das… das kann nicht wahr sein. Was soll ich im Wald? Ich habe den Schrecken hinter mir, ich …«
Sie winkte ab. »Keine Sorge, Dimitrou. Es wird alles gut, das verspreche ich dir.«
»Ist es denn weit?« Galinka hatte den Fahrer schon fast so gut wie überzeugt.
»Nein.«
»Wann bin ich wieder zurück?«
»Wir lassen die Leiter stehen. Niemand wird bemerken, daß du weggewesen bist.«
Er zögerte noch immer, schaute sich um. Niemand befand sich in der Nähe. Er und die Frau waren allein.
Sie faßte nach seiner Hand. Ihre Finger waren kalt, und Dimitrou schauderte zusammen. Er wehrte sich auch nicht, als sie ihn zur Seite zog. So ging er automatisch mit.
»Du wirst es nicht bereuen«, flüsterte Galinka, »ganz bestimmt nicht…«
***
Sie waren schon fast eine halbe Stunde unterwegs und hatten den Ort mittlerweile hinter sich gelassen. Unter seinen Füßen spürte Dimitrou nicht mehr den harten Asphalt, sondern einen weichen nachgiebigen Grasboden, der ihm vorkam wie ein Teppich.
Sie schritten durch die Finsternis und in eine nächtliche Landschaft hinein, die auch von grauen Nebelinseln gezeichnet wurde.
Besonders nahe des Waldes oder an feuchten Stellen hingen die Schleier wie Dunsttücher.
Dimitrou brannten zahlreiche Fragen auf der Zunge. Er traute sich nicht, auch nur eine zu stellen.
Galinka Bachmann führte ihn nicht zu sich nach Hause. Sie hatten einen Bogen geschlagen, waren um den Wald herumgegangen und erreichten ein Gebiet, wo mehr Busch- und Strauchwerk wuchs.
»Wir sind gleich da«, sagte sie plötzlich.
»Und wo?«
Die Augen der alten Frau blitzten, als sie Dimitrou anschaute.
»Das kannst du in wenigen Minuten sehen.«
»Es ist aber kein Haus – oder?«
»Das ist es nicht.«
Manchmal hörte Dimitrou die Geräusche der Autobahn. Das schnelle Zischen, wenn Fahrzeuge vorbeirasten. Die Nähe der Autobahn erinnerte ihn wieder an das schreckliche Skelett, das so plötzlich erschienen war. Immer wieder hatte er angesetzt, um die alte Frau zu fragen, allein, er traute sich nicht, obwohl er inzwischen das Gefühl hatte, daß sie mehr wußte, als sie eigentlich zugab. Bestimmt auch einiges über das Skelett.
Galinka blieb stehen und streckte den rechten Arm aus. Die Finger zeigten in die schwarzgraue Finsternis und wiesen über sperrige Buschzweige hinweg. »Dahinter ist es.«
Dimitrou nickte nur. Er ließ sich weiterziehen. Die Gegend kam ihm unheimlich vor. Mitternacht war längst vorbei. Es war die Geisterstunde. Diese Nacht schien überhaupt kein Ende zu nehmen. Zu viel war einfach geschehen.
Gras bewegte sich, Zweige raschelten, als sie die letzten Meter gingen. An die Geräusche des nächtlichen Waldes hatte er sich gewöhnt. Tiere aber sah er keine.
Galinka hatte Dimitrou wieder an die Hand genommen, was diesem nicht einmal unangenehm war. In dieser Gegend fühlte er sich so schrecklich fremd und unwohl.
»Wir sind da!« wisperte sie, »schau nach vorn…«
Er tat es, sah aber im ersten Moment nichts. Buschwerk und Finsternis verdeckten alles. »Wieso? Was ist…?«
»Da, auf dem Boden!«
Er senkte den Blick, ging auch noch zwei Schritte vor, wogegen die Alte nichts hatte, dann aber blieb Dimitrou abrupt stehen.
»Das?« ächzte er.
»Ja.« Sie näherte sich ihm. »Genau das meine ich. Es ist ein wunderschönes Grab…«
***
Gräber, Friedhöfe Tote oder auch Untote – das waren Dinge, vor denen sich Dimitrou schon als Kind gefürchtet hatte. Auch der Anblick dieses Grabes bereitete ihm Unbehagen. Es lag hier im Wald, besaß sogar einen hochkant gestellten Stein, und Dimitrou stand davor und schaute es mit glasigem Blick an.
Neben ihm war die alte Galinka stehengeblieben. »Jetzt sind wir am Ziel«, erklärte sie.
Dimitrou sagte etwas und fing an zu stottern. »Das… das Grab? Was soll das bedeuten?«
»Es ist sehr wichtig.«
»Für wen?«
»Für uns.«
»Also auch für mich?« Der Fahrer wollte alles genau wissen. Sein Unterbewußtsein hatte ihn schon gewarnt.
»Selbstverständlich auch für dich. Ich habe dich nicht umsonst hierhergeführt.«
Dimitrou lachte leise, obwohl er es gar nicht wollte. »Bitte,
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