051 - Die gelbe Schlange
Schlüssel.
Wieder klopfte es.
»Öffnen Sie! Ich kann den Schlüssel innen stecken sehen.!«
Madame Ferroni eilte schnell zum Kleiderschrank und hob den losen Boden heraus. Zwischen Fußboden und Schrankboden war ein Zwischenraum von mehr als einem halben Meter. Sie hob Joan auf, legte sie in den staubigen Hohlraum, deckte das Brett über sie und schloß die Schranktür ab. Dann warf sie hastig die Scherben der Teetasse und den Teller durch das Fenster auf den kleinen Hinterhof. Sie schaute sich noch rasch im Zimmer um, ob alles in Ordnung sei, und öffnete schließlich die Tür.
Auf dem Treppenabsatz stand ein Mann. Madame Ferroni kannte die Polizei nicht nur theoretisch, und sie wußte sofort, daß dies ein Mann von Scotland Yard war. Sie hatte einen gelben Ehemann, der ihr schon einmal von einem Mann wie diesem weggeschnappt worden war. Jetzt erkannte sie den Beamten auch wieder, aber sie konnte sich nicht auf seinen Namen besinnen.
»Hallo«, grüßte er. »Wo ist Miss Bray?«
»Miss -?« Die Frau zog die Stirn kraus, als ob sie den Namen nicht verstanden hätte.
»Miss Bray. Sie ist vor fünf Minuten hierhergekommen.«
Madame Ferroni lächelte und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Sie irren sich, außer mir ist niemand hier.«
Der Kriminalbeamte trat in das Zimmer und sah sich um. Er betrachtete den Tisch und die einzelne Teetasse.
»Was ist in dem Schrank?«
»Nichts. Wollen Sie hineinschauen?« forderte Madame Ferroni ihn auf und fügte noch hinzu: »Darf ich wissen, wer Sie sind?«
»Ich bin Sergeant Long von Scotland Yard«, antwortete der Kriminalbeamte. »Sie wissen doch ganz genau, wer ich bin. Vor zwei Jahren habe ich bei Ihnen Haussuchung gehalten und den Chinesen, mit dem Sie verheiratet sind, wegen Rauschgifthandels verhaftet, öffnen Sie den Schrank!«
Madame Ferroni öffnete achselzuckend weit die Schranktür. Das Bodenbrett lag an seiner alten Stelle, und dem Kriminalbeamten kam nicht der Gedanke, einmal nachzusehen, was zwischen Schrank- und Zimmerboden sein könnte.
»Ist Miss Bray wieder weggegangen? Wollten Sie mir das sagen?« fragte er barsch.
»Ich weiß wirklich nicht, von wem Sie sprechen!«
Der Beamte zog die kleine Karte aus der Tasche, auf die Mr. Narth die Adresse Madame Ferronis geschrieben hatte. Er hatte das Taxi nach Fitzroy Square verfolgt, den Chauffeur angehalten und sich die Karte von ihm geben lassen.
»Sie nennen sich jetzt also Madame Ferroni?«
Die Frau nickte. Plötzlich kam ihr ein Einfall.
»Hier wohnt noch eine andere Madame Ferroni im obersten Stockwerk«, erklärte sie. »Es ist sehr unangenehm, wenn zwei Leute mit gleichem Namen im selben Haus wohnen. Deswegen will ich auch wieder ausziehen.«
Der Kriminalbeamte sah sie scharf an und zögerte.
»Ich will das obere Stockwerk untersuchen. Sie warten hier, und wenn ich oben nichts finde, werden Sie einen kleinen Spaziergang mit mir machen.«
Die Frau schloß die Tür hinter ihm. In einer Zimmerecke war ein kleines Haustelefon. Sie nahm den Hörer ab, drückte auf den Knopf und begann leise und eindringlich zu sprechen.
In der Zwischenzeit hatte der Beamte das obere Ende der Treppe erreicht. Er sah eine Tür, die gerade vor ihm lag. Er trat näher und klopfte. Eine schrille Männerstimme rief; »Herein!«
Ohne Verdacht zu schöpfen, stieß der Sergeant die Tür auf und trat in den Raum.
Sein djcker Filzhut rettete ihm das Leben, denn der schwereKnüppel, der auf seinen Kopf niedersauste, hätte ihn sonst getötet. Er wankte unter dem Schlag, dann schlug ihm noch jemand mit einer Flasche gegen die Schläfe, und Long fiel zu Boden wie ein Klotz.
30
Joan Bray kam mit dem Gefühl wieder zu sich, daß irgend etwas in regelmäßigen Abständen auf ihren Kopf hämmerte, und bei jedem Schlag zuckte sie zusammen. Es dauerte lange, bevor sie erkannte, daß sie allein war, und daß das Hämmern in ihrem Kopf selbst stattfand... Sie öffnete die Augen, und ihr Blick fiel auf häßliche, kahle Wände. Keine Fenster, aber im Dach ein Oberlicht, durch das sie den trüben Schein eines regnerischen Tages sah. In einer Ecke war ein steinerner Ausguß. Der tropfende Messinghahn, von dem unaufhörlich ein dünner Wasserstrahl in den schmutzigen Spülstein herabrieselte, zog Joan unwiderstehlich an.
Mühsam kam sie auf die Füße, sie schwankte und mußte sich gegen die Wand stützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Bei jedem Schritt, den sie tat, pochte es in ihrem Kopf, und mit größter
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