0518 - Höllenparadies
nichts mehr verstehen…
***
Wer das Höllenparadies suchte, der brauchte nicht in eine Fantasy-Welt zu fahren, sondern nur in die Nähe der weltberühmten Regent Street zu gehen, denn dort lag der Laden, der diesen reißerischen Titel führte. Ich war hingefahren und schaute mir zunächst einmal die Umgebung an, ohne das Geschäft zuvor betreten zu haben.
Es gab in der Nähe nichts Außergewöhnliches. Zwei Kinos, einige Imbißbuden, zahlreiche Läden, die eigentlich alles anboten, was das Herz begehrte, vom Schuh über Textilien bis hin zu Lebensmitteln.
Sogar einen Laden für Alarmanlagen entdeckte ich, der direkt neben einer Fleischerei lag.
Der normale Vormittagsbetrieb herrschte auf Straße und Gehsteig.
Die Menschen kauften ein, trafen sich, hielten ein Schwätzchen, denn hier kannte man sich noch.
Und dazwischen eben Sandras Höllenparadies!
Für eine Videothek war sie ziemlich groß. Eine breite Fassade mit einem sehr großen Schaufenster, in dem die neuesten Kassetten-Hits präsentiert wurden. Der Hintergrund des Schaufensters war mit einer goldenen Tapete beklebt worden. Auf ihr hingen zahlreiche Filmplakate. Manche sehr reißerisch aufgemacht, andere wiederum nett, eben zu den Lustspielen oder Komödien passend.
Natürlich sah ich auch das Schild mit der Werbeaufschrift. Lady Sarah hatte es mir in klein gezeigt, hier konnte ich den Text in großen Buchstaben lesen. Die Tafel hatte ebenfalls noch im Schaufenster ihren Platz gefunden.
Der Name selbst stand über dem Eingang. Die einzelnen Buchstaben setzten sich aus einer verschiedenfarbigen Leuchtschrift zusammen, die jetzt nicht in Betrieb war.
Genau zur richtigen Zeit stand ich vor dem Geschäft. Die Glastür war geschlossen. Auch auf ihr hing ein Plakat. Es zeigte den letzten Bondtitel »The living Daylights«.
Nur die wenigsten Menschen gönnten der Videothek einen Blick, wenn sie vorbeigingen. Niemand außer mir hatte Interesse daran, den Laden zu betreten.
Ich stieß die Tür auf.
Zunächst hörte ich ein sanftes Klingeln, das eine Glocke über mir verbreitete, dann betrat ich einen Raum, den ich ohne Übertreibung als andere Welt bezeichnen konnte.
Ich hatte schon zahlreiche Videotheken gesehen, in manche nur einen Blick hineingeworfen, diese aber war ebenso außergewöhnlich wie ihr Name.
Das begann schon mit der Einrichtung. Ich bewegte mich nicht auf einem normalen Fußboden, sondern über Quadrate, die stumpf gewordenen Spiegeln ähnelten.
Sie lagen dicht beisammen, und ihre Fugen waren hell abgesetzt.
Man bekam tatsächlich den Eindruck, auf zerbrechlichem Material zu laufen. Vielleicht setzte ich deshalb so vorsichtig meine Schritte.
Der Raum war sehr groß. Er bildete ein Viereck, das von einem Verkaufstresen der Tür gegenüber abgeschlossen wurde. Über der Theke sah ich einen Fernseher mit sehr großem Bildschirm. Natürlich war der Apparat an einen Recorder angeschlossen.
Der Verkaufstresen hätte auch in einen Pub gepaßt, denn vor ihm standen einige Hocker. Sicherlich bekam man hier auch etwas zu trinken, was auch nicht mehr ungewöhnlich für Videotheken war.
Der einzige Kunde war ich nicht. Im Hintergrund suchten zwei Jugendliche die gefüllten Regale durch.
Es gab hier alles. Vom Sexfilm bis zum Streifen für Kleinkinder.
Und natürlich die neuen Kinohits auf Kassette.
Sarah Goldwyn hatte von einer ungewöhnlichen Atmosphäre gesprochen. Ich konnte mich ihrer Meinung nicht anschließen.
Okay, der Laden war anders aufgemacht als die meisten Videotheken, aber etwas Unheimliches spürte ich nicht.
»Ja, den nehmen wir!« schrie einer der beiden Jugendlichen und schleuderte eine Kassette hoch. »Der ist stark.«
Ich kümmerte mich um die beiden nicht und entdeckte dafür links vom Verkaufstresen die Tür, von der Lady Sarah ebenfalls gesprochen hatte. Durch sie waren Kunden gegangen und hatten beim Zurückkommen verändert ausgesehen.
Die interessierte mich natürlich. Ich war drauf und dran, es schon auszuprobieren, als sich hinter der Theke eine weitere Tür öffnete und eine Frau auf der Schwelle stand, die mich leicht schlucken ließ.
So sehr beeindruckte sie mich.
Das mußte einfach Sandra sein, der dieses Höllenparadies gehörte.
Sie sah mich, ich sah sie, und beide blieben wir für einen Moment stehen, so daß jeder den anderen genau beobachten konnte.
Mir kam sie vor wie eine Göttin der Antike. Ob das Haar echt war oder es sich dabei um eine Perücke handelte, konnte ich beim besten Willen nicht
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