0526 - Saras letzter Kampf
eintrat. »Er ist ein… nein… es kann nicht sein. Er gehört nicht dorthin, und doch… er ist so alt, so schrecklich uralt…«
»Ein Traumzeitwesen, meinen Sie«, sagte Amos. »Nein, ich bin keines jener Geschöpfe, Mister Shado. Aber ich lebte schon, als Ihre Vorfahren die Traumzeit erlebten, in der die Welt geschaffen wurde.«
»Etwas Negatives haftet Ihnen an«, sagte Shado reserviert. »Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt.«
»Können wir Sympathiekundgebungen auf später verschieben?« drängte Nicole. »Herzlich willkommen im Château Montagne, mein Freund. Zamorra braucht dringend deine Hilfe.«
»Deshalb bin ich hier«, erinnerte der Australier. »Kanaula sandte mir einen Traum…«
»Kanaula, der Regenbogenmann«, sagte Amos fast andächtig.
»Sie kennen Ihn?« stieß Shado überrascht hervor.
»Zumindest den Namen. Ich weiß nicht mehr, ob wir uns schon einmal begegnet sind. Wenn man so lange lebt wie ich, läßt das Gedächtnis bisweilen nach. Es wird mehr als fünfzigtausend Jahre her sein…«
Shado schloß die Augen und lehnte sich zurück. »Zu den Sympathiekundgebungen, Nicole«, sagte er. »Es gibt in diesem Haus eine Person, die… Angst vor mir hat. Ich finde kein treffenderes Wort. Lady Saris ap Llewellyn.«
»Angst?« stieß Nicole hervor. »Wie das?«
»Vielleicht hegt sie ein kollektives Schuldgefühl. Immerhin waren es Engländer, die vor etwas mehr als zweihundert Jahren in die Welt meiner Völker eindrangen und meinesgleichen wie Tiere jagten, erlegten und als seltene Stücke ausgestopft in ihr Wohnzimmer stellten.«
Nicole schüttelte sich unwillkürlich. »Haben Sie etwa mit Lady Patricia darüber gesprochen?«
»Sie ließ mir keine Chance. Sie sah mich, verschwand, und ich konnte fühlen, was sie dachte.«
»Ich werde bei Gelegenheit mit ihr darüber reden«, versprach Nicole. Lady Patricia war seit etwa einem Jahr Dauergast im Château. Ihr Sohn Rhett, gerade ein Jahr alt, war der jüngste Sproß der Erbfolge des schottischen Saris-Clans. Er war der wiedergeborene Lord Bryont Saris ap Llewellyn, der bei der Geburt seines Sohnes gestorben war, über 230 Jahre alt. Und der jetzt noch kleine Rhett würde genau ein Jahr länger leben als sein Vater, und sein Sohn wiederum ein Jahr länger als Rhett…
Weil dämonischen Wesen daran gelegen war, die Erbfolge zu beenden, und weil der Kleine Gesellschaft in seinem Alter brauchte, hatte Zamorra Lady Patricia und den kleinen Lord hierher geholt. Llewellyn-Castle in Schottlands Norden war vorübergehend »eingemottet« worden - zumindest für solange, bis Sir Rhetts Erinnerung an seine früheren Leben und an seine magische Kunst durchbrach und er sich selbst zu schützen vermochte.
Shado war ein Aborigine.
Einer der Ureinwohner Australiens. Er gehörte zum Volk der Yolngu, und er lebte gewissermaßen zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite war er den alten Traditionen und Gebräuchen verpflichtet; immer wieder nahm er sich die Zeit, mit seinem Volk zu leben und zu wandern und auch die Corroborrees zu erleben, die festlichen Traumzeit-Trance-Tänze. So war er auch mit jenem Kanaula verbunden, einem der Schöpferwesen der Yolngu-Mythologie. Auf der anderen Seite nahm er am zivilisierten Leben teil, hatte einen relativ gutbezahlten Job in Sidney und immerhin ein eigenes Flugzeug - was in Australien allerdings nicht viel mehr bedeutet als normale Mobilität. Die gigantischen Entfernungen zwischen den wenigen Ansiedlungen auf dem fünften Kontinent per Auto zurücklegen zu wollen, blieb wahnwitzigen Touristen Vorbehalten. Der vernünftige Australier benutzt die Bahn oder das - möglichst eigene - Flugzeug. Wer hat schon die Zeit dafür und ist reich genug, solche gewaltigen Strecken zu ebener Erde zurückzulegen?
Man hatte sich vor ein paar Monaten kennengelernt, und Shado, der Mann zwischen den Welten mit einer erstaunlichen Para-Gabe, die er nur in der Traumzeit wahrnehmen konnte, hatte seither den Wunsch, Zamorra und seinen Freunden zu helfen. Solche Hilfe konnte nicht unwillkommen sein; Shado konnte andere Personen an andere Orte träumen. [3]
Als Ted Ewigks Gefährtin Carlotta auftauchte und Zamorra und Nicole alarmierte, daß der Kampf um die Macht über die DYNASTIE begonnen habe, meldete sich gleichzeitig Shado an. Er hatte von Kanaula einen Traum empfangen, und daraufhin hatte er, sich ins Flugzeug gesetzt und war von Sidney, Australien, nach Lyon, Frankreich, geflogen. Als Raffael ihn vom Flughafen abholte, waren
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