0527 - Der Grausame
um.
Daneben schimmerte mattgrau die Fensterscheibe, hinter der Schnee als vom Himmel fallender und nie abreißender Vorhang wirbelte. Die härter gewordenen Flocken peitschten gegen die Scheibe wie kleine Trommelschläge und hinterließen dort ein wahres Feuerwerk.
Didier griff zur Klinke. Der Mann wollte nicht mehr länger in der Bar sein. Draußen fühlte er sich freier und sicherer, trotz des vielen Schnees.
Frank Didier kam nicht dazu, die Tür zu öffnen. Vor ihr vernahm er ein Geräusch.
Schritte!
Dann waren sie da!
Er zuckte etwas zurück. Sein Glück, denn die Bewegung rettete ihm vermutlich das Leben.
Der dumpfe Schlag hämmerte von außen gegen das Holz der Tür. Nur blieb es nicht dabei, denn diesem Geräusch folgte das Splittern, dann brach in Kopfhöhe das Holz auf und etwas Langes, Glänzendes, Spitzes sauste hindurch.
Die breite Klinge eines Messers!
Und sie rasierte nur haarscharf an Franks linkem Ohr vorbei…
***
Der Druck hatte sich verstärkt. Abbé Bloch spürte das mit jeder Stunde, die verging. Er hatte das Gefühl, von einer schlimmen Last gebeugt zu werden. Er kannte die Verantwortung, die er trug, denn der Würfel des Unheils hatte ihm gezeigt, was sich ereignen würde.
Ein Blinder, der sah .
Das war der Abbé, und das wußten mittlerweile auch seine getreuen Templer, die er um sich versammelt hatte. Sie alle lebten in Alet-les-Bains, dem kleinen Ort im Süden von Frankreich, bereits in Sichtweite der Pyrenäen, deren Gebirgsmassiv sich bei klarem Wetter wie eine unüberwindbare Wand im Süden abhob.
Alet-les-Bains lag ebenfalls in einem bergigen Gelände, eine wunderschöne Gegend, besonders im Frühjahr und im Herbst. Die Sommer waren sehr heiß, die Winter konnten kalt sein. Dann waren die Felsen mit Schneemassen bedeckt, und auch die langen Hänge mit ihrem mediterranen Pflanzenbewuchs lagen unter der weißen Schneeschicht begraben.
In diesem Winter hatte sich die Kälte Zeit gelassen, die ersten Blüten hatte sich bereits geöffnet.
Das waren für die Menschen Zeichen der Hoffnung, Beweise eines neu erwachten Lebens, das Abbé Bloch nicht mehr sehen konnte. Seit einiger Zeit schon lebte er als Blinder. Eine geschmolzene Silbermaske hatte ihm das Augenlicht genommen, und alle ärztliche Kunst, das Augenlicht zu retten, war vergebens gewesen.
Der Abbé hatte sich nicht nur mit seinem Schicksal abgefunden, er hatte auch versucht, das Beste daraus zu machen. Von John Sinclair war ihm der Würfel des Heils überlassen worden. Durch ihn konnte er nicht nur Kontakt zu anderen Dimensionen und Welten halten, auch zum Dunklen Gral, der endlich gefunden worden war und sich nun im Besitz der richtigen Person befand.
Abbé Bloch hatte John Sinclair gewarnt. Er wußte auch, daß seine Warnungen bei dem Geisterjäger auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Wie er John Sinclair kannte, würde er dem Fall nachgehen.
Um Alet-les-Bains herum konzentrierte sich die Magie. Keine böse, keine Schwarze Magie. Es war die Magie des Mittelalters, einer Zeit, in der Menschen aufgebrochen waren, um Geheimnisse zu entdecken, die im verborgenen lagen.
Davon profitierten auch ihre Nachfolger, zu denen sich der Abbé zählte.
Ein Blinder fühlt und spürt mehr als die Sehenden. So erging es auch dem Anführer der Templer. Etwas drückte und bedrückte ihn.
Er hatte nur noch nicht herausgefunden, was es genau war, deshalb wollte er allein sein, um es zu lokalisieren.
Allein mit dem Würfel!
Dem Abbé war klar, daß jemand etwas in Bewegung gesetzt hatte. Ein Ereignis von großer Tragweite. Aus der Vergangenheit war etwas gekommen und hing wie die drohende Klinge eines Schwertes über ihren Köpfen.
Bloch wollte es herausfinden.
Und wieder konzentrierte er sich auf den Würfel. Er saß in seinem spar- tanisch eingerichteten Zimmer – Luxus war den Templern zuwider – und konzentrierte sich.
Der Abbé war in den letzten Monaten stark gealtert. Das Haar zeigte jetzt eine fast weiße Farbe. In sein Gesicht hatten sich die Furchen tiefer eingegraben, die Augen versteckte er hinter den Gläsern einer dunklen Brille.
Seine Hände umspannten den Würfel. Es waren lange, gebräunte Finger, über die sich die Haut spannte. Sie war mit Altersflecken übersät und wirkte dennoch jugendlich.
Etwas hatte sich verändert, das merkte der Abbé. Die Gefahr lag nicht mehr so weit zurück, sie war näher gekommen, und er glaubte fest daran, sie lokalisieren zu können.
Van Akkeren, der Baphomet-Nachfolger.
Weitere Kostenlose Bücher