0545 - Der Schlangen-Altar
Universitätsbibliothek der Sorbonne ist es auch schon seit Jahren nicht mehr vorhanden, obgleich es da eigentlich präsent sein müßte. Aber das scheint jemand ausgeliehen und nie zurückgebracht zu haben. Woher kennen Sie es eigentlich, Kollege?«
»Ich habe mir selbst ein Exemplar gekauft, als es vor gut zehn Jahren aufgelegt wurde. Was nicht bedeutet, daß ich Ihre gewagten Spekulationen -denn mehr stellt Ihre Arbeit doch nicht dar - vorbehaltlos akzeptiere. Ich finde sie nur interessant - und unbeweisbar. Wie jemand nur durch Gedankenkraft die Gestalt eines Tieres annehmen kann, hat der neugierigen Forscherwelt bislang noch niemand im Experiment erfolgreich vorexerzieren können. Ihr Plagiator scheint von einer solchen Möglichkeit aber fest überzeugt zu sein und geht mit Ihnen ja auch wortwörtlich konform, daß Träume und die Macht des Unterbewußten dabei eine große Rolle spielen und dabei so intensiv wirken können, daß aus der eigenen Traumvorstellung hypnosuggestiv selbst für andere Menschen Realitäten entstehen können…«
Zamorra unterbrach seinen redseligen Kollegen. Seine eigenen Thesen brauchte er sich schließlich nicht von einem anderen erklären zu lassen.
»Werden Sie den Studenten wegen Verstoß gegen das Urheberrecht belangen, Zamorra?« wollte Bellemont jetzt wissen.
»Wozu, lieber Kollege? Mit seiner Abhandlung kann er doch so oder so kein Geld verdienen - und ich kann froh sein, daß wenigstens einer an meine Thesen glaubt. Nur hätte er das auch anders artikulieren können als dadurch, daß er abschrieb… Die Kopie geht in den nächsten Tagen per Post ans Sekretariat zurück. Danke, Herr Kollege.«
Er legte auf und unterbrach die Verbindung nach Paris damit.
Sachen gab’s…
Er legte den dicken Band beiseite. Menschen, die durch die Kraft ihrer Träume zu Tieren wurden, zu Wölfen, Vögeln, Raubkatzen oder auch Schlangen…
Lange lag es zurück, seit Zamorra darüber geschrieben hatte. Weniger lange war es jedoch her, daß er erneut auf einen solchen Menschen gestoßen war. Erst vor ein paar Wochen hatte er in Rom eine junge Frau kennengelernt, die in der Lage war, sich in einen schwarzen Panther zu verwandeln und durch die Kraft ihrer Gedanken zwischen der Welt der Menschen und einer seltsamen anderen Welt jenseits der Realität hin und her zu pendeln. [5]
Gerade deshalb interessierte diese abgelehnte Examensarbeit Zamorra so sehr.
Zamorra erhob sich und wollte sein Arbeitszimmer gerade verlassen, als mit kurzem Anklopfen der alte Diener Raffael Bois eintrat.
»Gerade war der Telegrammbote hier, Monsieur… für Sie!« Er reichte seinem Dienstherrn einen schmalen Umschlag.
Zamorra riß ihn auf und überflog die Zeilen.
ODINSSON IN LONDON AUFGESPÜRT STOP BRAUCHE DEINE HILFE IHN UNSCHÄDLICH ZU MACHEN STOP CHANCEN SO GUT WIE NIE STOP TERI RHEKEN
***
Schon als Mansur Panshurab das Standbild zum ersten Mal sah, hatte es ihn beeindruckt. Dabei war es damals noch über und über von Staub und Spinnennetzen bedeckt gewesen. Der unterirdische Dämonentempel schien seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden zu sein, vielleicht sogar schon seit Jahrhunderten.
In seiner Schlangengestalt hatte Panshurab ihn gefunden, denn als kriechendes Reptil konnte er Orte erreichen, die Menschen nur schwer zugänglich waren. Vielleicht war das der Grund, weshalb dieser unterirdische Tempel in Vergessenheit geraten war. Sein eigentlicher Eingang war eingestürzt und verschüttet. Niemand kam mehr hinein und heraus. Aber es gab Schlupflöcher, unterirdische, enge Belüftungsschächte, durch die Schlangen kriechen konnten, selbst wenn sie so groß waren wie ein Mensch. Schließlich waren Reptilien beweglicher als Menschen. Und Höhlenforscher sahen ohnehin in London keine Chance, ihrer Profession nachzugehen…
Panshurab hatte überlegt, ob er den großen Zugang von einst wieder öffnen lassen sollte. Aber dann verzichtete er darauf. Dafür ließ er einen Geheimgang anlegen, den er durch Ssacahs Magie sicherte und der durch die stillgelegte Fabrik zum unterirdischen Tempel führte.
Und dieser Tempel wurde seine geheime Basis in London.
Als Panshurab zum zweiten Mal die Stadt besuchte, von der einst Truppen ausgesandt worden waren, seine Heimat Indien zu besetzen und zu einer Kolonie des englischen Königreichs zu machen, brachte er Ssacah-Ableger mit. Indien war längst wieder frei und souverän. Das Machtstreben der Engländer war längst nicht mehr so stark wie noch vor
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