0553 - Geisterstunde
»weiß«, und wofür goas steht, weiß ich im Moment nicht mehr. Es war eine ganz bescheidene Hütte, in der er lebte, etwa vier Kilometer außerhalb von Langonnet an der Strecke nach Scaêr gelegen. Und wie es so üblich war, brachten wir auch unsere Instrumente zum Einsatz, Gitarre und Bombarde, dazu spielte Mikael seinen Dudelsack.
Dabei sprachen wir dem Rotwein einmal mehr kräftig zu, die beiden Mädchen saßen dabei und lauschten unserem Spiel. Im Grunde war es ein netter Abend.
Doch etwa gegen elf Uhr wurden die Mädchen scheinbar müde, oder vielleicht war bei ihnen auch die Langeweile ausgebrochen. Jedenfalls wollten sie nun langsam nach Hause. Sie hatten - im Gegensatz zu meinem Freund, Bernd, Mikael und mir - auch nicht viel getrunken; den ganzen Abend über hatten sie an einem oder zwei Gläschen Rotwein genippt.
Doch außer den beiden Mädels hatte noch lange niemand Lust, den Abend jetzt schon zu beenden, und wir tranken und musizierten weiter.
Daß wir unsere beiden Frauen in dieser Weise einfach zu übergehen schienen, machte sie immer ungehaltener, bis sie schließlich geradezu böse waren und - unter welchen Umständen auch immer - aufbrechen wollten. Im Grunde war es kein Problem, denn ehe mein Kumpel und ich in den Ferien jetzt schon zu Bett gehen würden, nahm lieber einer von uns den Umstand auf sich, die beiden Mädchen zu unseren Zimmern in Langonnet zu fahren und dann wieder zurückzukommen.
Der inzwischen erreichte Alkoholpegel störte uns leichtsinnige Vögel damals überhaupt nicht. Was sollte schon passieren? Die Wege waren frei, es gab keine Polizeikontrollen, und natürlich fühlten wir uns völlig nüchtern. Also…
Innerhalb weniger Minuten war ich wieder zurück und sah, wie Bernd und Mikael mit den Gläsern in der Hand über einer Landkarte brüteten. Mikael zeigte ihm den Tumulus von Tanouedou, einen etwa fünf Meter hohen Grabhügel, der, vielleicht zehn Kilometer von Mikaels Häuschen entfernt, in absolut unbewohntem Niemandsland lag.
Mikael erzählte uns, daß dort, unter diesem Hügelgrab, der Duc de Morvan, einer der frühen Herzöge der Bretagne, zwischen hohen Granitsteinen begraben sein soll. Es war interessant, was er alles an lokalen Sagen und Geschichten wußte. Der Duc sollte schon seit Jahrhunderten von Zwergen in seiner Ruhestätte bewacht werden, von den sogenannten »Korrigan«, kleinen Geistern.
Und wir, Bernd und ich, setzten uns in unserer fortgeschrittenen Alkohollaune in den Kopf, diesen Tumulus aufzusuchen. Jetzt, noch in dieser Nacht!
Zunächst hatte Mikael nicht verstanden, was wir da ausbrüteten, er sprach ja nur französisch und bretonisch, dann aber erklärten wir es ihm - und sahen, daß er dabei immer blasser wurde!
Die Korrigan seien böse Geister, erklärte er uns genauso feierlich wie ängstlich, niemand hätte es je gewagt, nach Einbruch der Dunkelheit diesem Ort auch nur nahezukommen! Wer den toten Duc de Morvan und seine Schutzgeister störe, dem würde unweigerlich Unglück widerfahren, wenn ihn nicht sogar Schlimmeres ereilen würde.
Ich wußte, genau wie auch Bernd, daß besonders die älteren Bretonen dem Aberglauben alter Sagen und Geschichten nachhingen und sie für bare Münze nahmen. Trotzdem versuchten wir Mikael zu ermuntern, uns doch zu begleiten, denn wir wollten nun, mitten in der Nacht, den Tumulus besuchen. Er könne an Ort und Stelle sehen, daß es keine Geister gäbe und daß dort auch bei Nacht nichts Gefährliches sei.
Mikael blickte nur noch finsterer drein. Unter keinen Umständen hätte er uns begleitet, im Gegenteil, er war der Meinung, daß wir nun lieber den Abend beenden sollten, er müsse schlafen gehen…
So legte er seinen Dudelsack beiseite, trank sein Glas leer - fast, denn es kippte um, als er es hastig absetzte, und die Hälfte des Weins floß auf den Boden.
Und dann ließ er uns allein.
***
Und wir brachen auf.
Es war kurz nach Mitternacht.
Wir hatten noch allerlei Lebensmittel vom vergangenen Tagesausflug nach Carnac im Wagen und einigten uns unterwegs darauf, damit die Korrigan zu besänftigen. Immerhin sollten die kleinen, bösen Geister auch einmal etwas Anständiges zu essen und zu trinken bekommen.
Nach ungefähr einer knappen Stunde hatten wir den Tumulus gefunden, er befand sich weit abseits der Straße von Rostrenen nach Le Faouet. Um ihn zu erreichen, ging es über zahlreiche, größtenteils unbefestigte Feldwege. Für meinen Straßenkreuzer, einen schwarzen Opel Diplomat, nicht
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