056 - Der Werwolf
Haus! Das Tier ist gefährlicher als Sprengstoff!“
„Ich verstehe. Ich habe …“
Ein Klicken in der Leitung bewies, daß der Beamte aufgelegt hatte. Hartmut Franke griff in die Tasche, klappte die Schachtel auf und zündete sich einen schwarzen Zigarillo an.
„Wie find ich denn das?“ überlegte er laut. Er war noch völlig verblüfft und atmete schwer. Langsam dämmerte ihm, daß er in Lebensgefahr gewesen war. Daran hatte er während des fast lautlosen, erbitterten Kampfes in der Metzgerei keine Sekunde lang gedacht. Er legte den Telefonhörer, den er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, vorsichtig zurück und inhalierte tief den Rauch des Stumpens. Er hustete.
Von oben her fragte seine Frau: „Hartmut! Was gibt’s?“
Er rief zurück: „Ich sag’s dir nachher. Erschrick nicht – die Polizei kommt! Halte die Fenster zu, ja?“
„Warum?“
„Frag nicht. Die Polizei kommt nicht wegen uns. Sie ist hinter einem Wolf her.“
„Der Killerwolf?“ Die Stimme der Metzgersfrau klang schrill, fast hysterisch. Sie schien mehr über das Tier zu wissen, als er.
Hartmut ging langsam wieder zur Tür, behielt die Klinke fest in der Hand und öffnete die schwere Holztür einen Spalt weit. Undeutlich hörte er die Sirene des Polizeiwagens. Sie würden bald da sein. Er wartete ruhig, bis ihn die Scheinwerfer des Wagens blendeten und die Beamten – es waren vier, die mit Gewehren ausgerüstet waren – auf den Kiesweg hinaussprangen. Dann erst schob Franke die Tür ganz auf und ging hinaus.
Der Motor des Wagens lief noch. Undeutlich kamen quäkende Worte aus einem Lautsprecher.
„Hierher!“ rief Hartmut laut und winkte. Er stand im vollen Licht der Scheinwerfer. Aus dem Fond des Wagens sprang ein großer, schwerer Schäferhund, und der Beamte, der ihn festhielt, wurde fast umgerissen, als das Tier auf die Werkstatt zustrebte.
„Haben Sie angerufen?“ erkundigte sich der Streifenführer. „Gott sei Dank, Sie leben noch.“
„Warum?“ fragte Hartmut betroffen. „Hat der Wolf schon jemanden umgebracht?“
„Mann!“ sagte der Hundeführer, „hören Sie keine Nachrichten? Lesen Sie keine Zeitungen?“
„Nach der Arbeit schon!“ erwiderte der Fleischer. „Dort drüben in der Metzgerei war es. Kommen Sie!“
Die Beamten folgten dem Hund und fanden natürlich nur einen leeren Raum. Nicht ein einziger Blutspritzer war zu finden – er hätte sich auf den weißen Kacheln deutlich abgezeichnet. Aber Spuren gab es genug, denn der Schäferhund gebärdete sich wie rasend. Von dem Lärm beunruhigt, kam auch Frau Franke in die Metzgerei.
Sie erkundigte sich bei dem Streifenführer, was seit der Beerdigung ihres Schwagers, des Bruders von Hartmut, geschehen war.
Jetzt erst begriff Hartmut die Aufregung der vier Polizisten.
„Es ist sinnlos, den Wolf in der Dunkelheit suchen zu wollen“, hatte der Streifenführer gesagt, nachdem er das Tier etwa einen Kilometer weit verfolgt hatte. Mit seinen drei Kollegen war er durch einen Galten und dann entlang eines kaum sichtbaren Pfades zwischen zwei Häusern entlanggelaufen. Abseits der letzten Straßenlaterne war es jedoch stockdunkel gewesen.
Jetzt nahmen die Beamten in der Wohnstube ein kurzes Protokoll auf. Hartmut Franke sah ihnen vom halboffenen Fenster des Wohnraumes zu. Ihm war, als habe er einen Blick in die Welt der Gespenster und Geister getan.
Die Männer verabschiedeten sich, und Frau Franke drängte ihnen noch ein gewaltiges Wurstpaket auf.
Franke hatte den Kopf in die Hände gestützt. Es war zu viel für ihn, stürzte zu plötzlich auf ihn ein. Ein teuflischer Gedanke! Dieser Wolf … das konnte es doch nicht geben!
Er ging zum Küchenschrank, goß sich ein Glas klaren Schnaps ein und stürzte es hinunter. Dann ein zweites und ein drittes.
Er überhörte das Klingeln.
„Vati, das Telefon!“ sagte seine Frau.
Schwerfällig ging er hinaus und meldete sich. Es war Barbara Pranke. Sie verstanden sich recht gut, aber ihm war diese junge Frau zu modern in ihren Ansichten. Außerdem trug sie meist Hosen, und das mochte er nicht bei Frauen.
„Ja“, sagte er schließlich leise. „Du rufst eine Stunde zu spät an. Aber ich hätte dir ohnehin nicht geglaubt … Das mit dem Wolf …“
Die erregte Stimme am anderen Ende der Leitung zwang ihn, zuzuhören. Auf seiner Stirn erschienen kleine Schweißtropfen.
„Ihr seid alle irgendwie übergeschnappt!“ sagte er dann. „Das gibt’s doch nicht!“
Franke legte auf.
Er trank noch
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