061 - Der Zinker
verwundert nach. Was wollte ihr Frank mitteilen, was sie nicht wissen sollte? Aber dann zuckte sie die Achseln und tauchte die Feder ein. Es war das sechstemal, daß sie zu schreiben versuchte, diesmal mußte es gelingen. Sie war froh, daß John wieder in Freiheit war. Mit diesem Gedanken wenigstens konnte sie von hier fortgehen.
Sie schrieb einige Zeilen, las sie durch, wollte den Brief wieder zerreißen, bezwang sich jedoch. Nur wenige Worte war sie weitergekommen, als sich die Terrassentür öffnete. Erschrocken schaute sie auf.
Erst traute sie ihren Augen nicht, aber dann sprang sie mit einem Schrei hoch. Im nächsten Augenblick lag sie in John Leslies Armen. Er zog sie an sich, flüsterte ihr Unzusammenhängendes ins Ohr.
»O John, John!« schluchzte sie. »Bist du frei?«
Er sah nach der Tür. Kein Geräusch war zu hören.
»Ja, ich bin frei. Sie waren doch nicht so sicher, daß ich schuldig bin.«
»Ich habe mir so viel Sorgen um dich gemacht und war so unglücklich! Ich wollte dir gerade einen Brief schreiben und Mr. Harras bitten, dich zu suchen.«
Sein Blick war noch immer auf die Tür gerichtet.
»Ist es möglich, daß jemand kommt?«
»Nein, sie sind ins Billardzimmer gegangen.« Sachte machte sie sich aus seiner Umarmung frei, ging zur Tür, öffnete sie und lauschte. Sie hörte das Aneinanderstoßen der Billardkugeln und schloß die Tür wieder. Innen war ein kleiner Riegel angebracht. Sie zögerte einen Moment, dann schob sie ihn vor. »Miss Trent ist gekommen, ich glaube, sie ist jetzt in der Bibliothek. Ach, John, du weißt nicht, wie glücklich ich bin, daß du gekommen bist!«
Er hielt sie fest und schaute sie lange an.
»Daß ich gekommen bin? Beryl, ich muß dir etwas sagen.«
Sie ahnte, was er meinte, und versuchte sich freizumachen.
»Nein, bitte, sag es nicht!«
»Ich muß es sagen, ich habe es schon einmal gesagt - ich liebe dich ... Was du auch tun, wen du auch heiraten magst - Frank Sutton darfst du nicht heiraten!«
Sie schüttelte traurig den Kopf. Er las die Verzweiflung in ihrem Blick und erschrak.
»Ich habe ihn geheiratet«, sagte sie tonlos.
Er ließ die Hände sinken.
»Du hast ihn geheiratet? Meinst du das im Ernst?«
Sie nickte stumm.
»Wann?«
Sie erzählte ihm alles.
»Wir hatten eine Sonderlizenz. Es sollte eigentlich erst - morgen sein, aber Onkel Lew bestand darauf, daß es vorbei sein sollte, weil - nun, weil das heute morgen passiert ist, John. Er weiß - daß ich dich liebe ...«
»Verheiratet!«
Sie sah den Haß in seinen Augen. Er wollte zur Tür, aber sie hielt ihn zurück.
»Tu es nicht, tu es nicht - was hast du vor?« »Ich will mit Sutton abrechnen!« beteuerte er wild.
»Nein, nein - John! Um Gottes willen, laß es! Es ist für mich genauso schlimm wie für dich, und du wirst mich nur noch unglücklicher machen. Fühlst du das denn nicht? Weißt du nicht, was du mir damit antust? Es hat keinen Zweck - wir müssen uns damit abfinden.«
Sie weinte still. Sein Haß schmolz dahin, er machte sich Vorwürfe.
»Wir alle - müssen uns damit abfinden. Aber du darfst nicht aufgeben, Beryl! Wann fährst du?«
»Ein paar Minuten nach zehn von Kings Cross«, antwortete sie teilnahmslos. »Aber, John, du wirst doch nichts unternehmen oder - sagen?«
»Also ein paar Minuten nach zehn.« Er nickte.
»Aber du wirst nichts unternehmen? John, warum antwortest du nicht?«
»Du hast geheiratet - diesen Halunken! Ich hätte ihn geschont, wenn er das nicht getan hätte!«
Seine Reden ängstigten sie noch immer, aber draußen von der Treppe her hörte sie jetzt schnelle Schritte näher kommen.
»Geh rasch in den Garten, es kommt jemand, bitte geh - bitte geh!«
Sie küßte ihn. Als er über die Terrasse verschwand, eilte sie zur Tür, zog den Riegel geräuschlos zurück und setzte sich wieder an den Schreibtisch - gerade noch rechtzeitig, bevor Millie Trent hereinkam. Sie war in Hut und Regenmantel und trug eine große Aktentasche unter dem Arm. Anscheinend wollte sie das Haus verlassen. Als sie Beryl sah, tat sie erstaunt.
»Ach, ich wußte nicht, daß Sie hier sind, Miss - Mrs. Sutton«, sagte sie ein wenig betreten.
»Möchten Sie Mr. Sutton sprechen?«
»Ja - ich habe schon den ganzen Nachmittag versucht, ihn zu erreichen.« Ihre Stimme klang schrill und fremd. Wenn Beryl sie besser gekannt hätte, würde sie erraten haben, daß Millie nahe am Heulen war vor ohnmächtiger Wut. »Er geht jedesmal ins Billardzimmer, wenn ich mit ihm sprechen will.«
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