061 - Der Zinker
der ausführliche Bericht von Harras wurde erwartet. »Ich glaube, Sie fahren jetzt am besten nach Wimbledon zurück. Ich habe oben im Büro einen jungen Mann, der Auto fahren kann. Würden Sie gestatten, daß er Sie nach Hause bringt?«
»Ja - doch«, stimmte sie nach einigem Zögern zu, »es wird das beste sein. Ich muß irgendwo sein, wo man mich finden kann.«
Er verschwand nach oben, kam aber gleich darauf mit einem rothaarigen jungen Mann zurück.
»Dieser Herr wohnt auch in Wimbledon. Sie tun ihm einen Gefallen, wenn Sie gestatten, daß er Sie nach Hause fährt.«
Beryl war eigentlich froh, daß ihr der Chefredakteur die Entscheidung aus den Händen nahm. Der junge Mann sprach, als er sie nach Hause chauffierte, unbekümmert über die in Aussicht stehende Reportage, über Kriminalfälle im allgemeinen und über Fußball. Endlich hielt der Wagen in der Einfahrt von ›Hillford‹. Sie hatte kaum Zeit, ihrem Begleiter zu danken und sich von ihm zu verabschieden, als die Haustür aufging und der Diener Robert herauskam.
»Sind Sie es, gnädiges Fräulein? Mr. Friedman ist zurückgekommen. Ich habe ihm alles genau bestellt. Und dann hat eine Zeitungsredaktion angerufen - das ›Journal‹ ...«
Sie eilte schnell an ihm vorbei zur Bibliothek. Lew Friedman stand vor dem Kamin, die Arme auf das Gesims gelegt und den Kopf auf die verschränkten Hände gestützt. Beim Geräusch der sich öffnenden Tür drehte er sich schnell um. Sie war entsetzt über sein Aussehen. Sein Gesicht war grau und hatte sich, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, völlig verändert.
Unsicher kam er auf sie zu und nahm sie in die Arme.
»Liebe Beryl, Gott sei Dank, daß du wieder zu Hause bist!«
»Onkel Lew!« Forschend schaute sie ihm ins Gesicht. »Weißt du, was passiert ist?«
Er antwortete nicht.
»Frank Sutton ist tot«, flüsterte sie.
Er starrte sie nur an, ohne zu sprechen.
»Onkel Lew, weißt du, wer ihn getötet hat -? Ich muß es dir sagen, morgen werden alle Zeitungen voll davon sein - John Leslie hat ihn ermordet!«
»John Leslie - wer hat dir das gesagt?«
»Alle Leute wissen es - ich war dabei ...«
»Im Leopard-Club?« fragte er entsetzt.
»Nein, draußen auf der Straße. Ich wollte zum Club fahren, um Mr. Harras zu sprechen, aber als ich dort ankam, war alles schon passiert. Ach, Onkel Lew, es ist furchtbar .«
»Woher weißt du denn eigentlich, daß John Leslie es getan hat?«
»Ich hörte, wie sie es rief - Millie Trent! Sie schrie es laut genug, es war schauerlich - ich werde diesen Schrei nicht so bald vergessen.«
»Wo war sie?«
»Man brachte sie aus dem Club, schleppte sie fort, aber sie schrie die ganze Zeit, daß John Leslie ihn umgebracht habe.«
Er legte seine Hände auf ihre Schultern und sah sie an.
»Das ist eine gräßliche Lüge! John Leslie hat ihn nicht umgebracht. Wenn nötig, werde ich vor Gericht beschwören, daß er unschuldig ist.«
32
Die drei Angestellten der Sutton-Company, die an diesem Abend Überstunden gemacht und Abrechnungen erstellt hatten, waren inzwischen nach Hause gegangen. Der Nachtportier saß schläfrig in seiner Loge, als John Leslie rasch die dunkle Straße entlangkam, das Haupttor aufschloß und eintrat. Oben im Treppenhaus brannte eine schwache Birne, die gerade genug Licht gab, damit der Nachtwächter seine Rundgänge machen konnte.
Leslie ging direkt zu seinem Zimmer hinauf und wollte aufschließen, doch zu seinem größten Erstaunen fand er die Tür offen. Er trat ein und machte Licht. Kleine Rinnsale tropften von seinem schwarzen Regenmantel herunter. Er legte ihn über eine Stuhllehne. Als er den Schlüssel auf seinem Schreibtisch liegen sah, runzelte er die Stirn. Jemand war vor ihm hier gewesen. Er schaute auf die Asche im Kamin. Die Reste verbrannten Papiers redeten eine deutliche Sprache. Wer hatte diese Überbleibsel noch durchsucht? Merkwürdigerweise richtete sich sein Verdacht sofort auf den richtigen Mann, denn er hatte keine geringe Meinung von Josua Harras' Fähigkeiten.
In der untersten Schreibtischschublade befand sich aber noch ein Geheimfach, das er mit einem speziellen Verschlußmechanismus hatte versehen lassen. Es enthielt eine eiserne Kassette, die er jetzt auf den Tisch stellte und aufschloß. Als er den Deckel hob, fielen die zwei obersten Papiere des übervollen Kästchens auf die Tischplatte. Leslie drehte die Tischlampe an und begann die einzelnen Dokumente durchzusehen, die er in der Zeit seiner Tätigkeit hier gesammelt
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