0610 - Totenfee der Templer
schneller erreichen zu können.
Vor dem Bug schäumte das Wasser zu einer Gischtwoge hoch. Obwohl das Boot mit dem Meer in Verbindung stand, kam es mir so vor, als würde es über die Wellen hinweghuschen.
Kate Tanner ließ das Glas sinken.
Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe. »Und was machen wir jetzt, John?«
»Wir haben zwei Möglichkeiten.«
Sie lachte. »Fliehen oder bleiben!«
»Exakt.«
Kate nickte. »Es ist ein schnelles Boot«, flüsterte sie. »Sehr schnell sogar. Ich habe mich während meiner Zeit hier damit beschäftigt. Es besitzt zwei starke Motoren, die schon einiges aushalten können, glaube ich. Wir könnten es versuchen.«
»Du weißt, was eine Flucht auch noch bedeutet. Wir würden deine Schwester und Suko im Stich lassen.«
Kate hatte sich schon abdrehen wollen, als sie mitten in der Bewegung stoppte. »Ja, du hast recht, John, das stimmt. Es… es ist furchtbar, ich glaube, daß …«
»Also?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts«, flüsterte sie. »Ich… ich weiß überhaupt nichts mehr. Was soll ich machen, sag es mir bitte. Sag es.«
»Ich hole den Anker ein.«
Kate erbleichte. »Dann willst du doch weg?«
»Ja, vorläufig. Es käme allerdings keiner normalen Flucht gleich. Wir bleiben in der Nähe, also in Sichtweite, wenn Suko wieder auftauchen sollte. Die Luft reicht für zwei Stunden, und die sind noch längst nicht vorbei.«
»Denkst du auch an ihre Waffen und Handgranaten?« fragte Kate flüsternd.
»Keine Sorge, Mädchen, die habe ich nicht vergessen.«
»Dann ist es gut.«
Viel Zeit durften wir nicht verlieren, denn die Distanz zwischen den beiden Booten hatte sich stark verringert. Ich hoffte nur, daß der Anker ebenso schnell wieder eingeholt werden konnte, wie er nach unten gerasselt war.
Dank der Elektronik und der guten Steuerung war dies kein Problem. Kaum hatte er sich vom Boden gelöst, spielte die Strömung mit unserem Boot. Sie ließ es schaukeln, als wollte sie es auf der langen Dünung in den Schlaf wiegen, obgleich die Seiten von quirlenden Strömungen umspielt wurden.
Ich hatte auch noch einen anderen Grund für die Flucht. Im Koffer aus Leichtmetall befand sich der Dunkle Gral. Und den konnte ich kaum mit ins Wasser nehmen.
»John, bitte, beeil dich!« Die Stimme der Frau schrillte über das Deck, als ich wieder erschien.
»Keine Sorge, wir packen es!« beruhigte ich sie, obwohl es nicht meine Überzeugung war, denn ich ging davon aus, daß die Gangster keine Rücksicht nahmen und schossen.
Kate stand an der Steuerbordseite während ich zur Brücke hinlief.
Bevor ich sie betrat, rief ich der Frau noch eine Warnung zu. »Geh lieber in Deckung, Kate.«
Sie fuhr herum. »Wird es so schlimm?«
»Weiß ich nicht, aber rechnen muß man mit allem.«
Da nickte sie.
Es erwies sich nun als Vorteil, daß ich schon des öfteren ein Motorboot gesteuert hatte. Sie waren unterschiedlich, aber im Prinzip alle gleich. Vor mir wölbte sich die breite Scheibe. Suko hatte den Schlüssel stecken lassen, ich brauchte ihn nur mehr zu drehen, um die Motoren kommen zu lassen.
Und wie sie kamen!
Zuerst hörte ich den satten Sound, dann lief ein Zittern durch das Schiff, ich stellte einen Hebel um, umfaßte das große Steuer und spielte mit dem Gas.
Ich konnte nur hoffen, daß sich Kate Tanner festhielt, denn der Start, den ich hinlegte, war nicht von schlechten Eltern. Das Boot bekam den richtigen Schub. Der Bug hob sich aus dem Wasser, und es sah so aus, als wollte der schnittige Kahn von der Oberfläche abheben und in den blauen Himmel steigen.
Das tat er nicht, aber er schäumte eine Gischtwolke hoch, die durch eine querlaufende Welle verursacht worden war und deren Spritzer gegen die Scheibe wirbelten.
Von meiner Begleiterin sah ich nichts. Sie hielt sich an Deck auf, worüber ich wiederum froh war, denn ich konnte sie zunächst auf der Brücke nicht brauchen.
Die See glich einem weiten, sonnenüberfluteten Teppich, der sich leicht bewegte und aus dem die Steine wie dunkle, dreieckige Säulen hervorragten.
Es gab Untiefen, Strömungen, Wirbel, Rinnen, es existierte alles, was einem Schiff zur Falle werden konnte. Und es waren die Felsen da, bei denen ich nicht wußte, wie weit sie sich unterhalb der Wasserfläche ausbreiteten und wie hoch sie stiegen. Denn mit dem Bootskiel über einen Felsen zu kratzen, war nicht eben erstrebenswert.
Ich fuhr zunächst einen weiten Bogen. Wichtig war, daß ich das schnellere Boot besaß. Zudem wußte ich
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