0616 - Der König des Schreckens
Durchgang in den Wohnraum schoben, ich vorneweg.
Da verstummte die Frau!
Wir hatten schon oft genug tibetische Mönche beim Gebet erlebt.
Wenn sie in ihrer Andacht versunken waren und so wirkten wie in Trance. Das alles war uns nicht neu, und ebenso wie die Mönche sah auch die Mulattin aus.
Sie kniete auf dem Sitzkissen, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, die Augen in die Höhe gerichtet, aber nicht gegen die Decke, sondern schräg nach vorn, wobei sie gegen die Wand schaute.
Capri sprach uns nicht an, als wir uns auf dem weichen Teppichboden weiter bewegten. Nichts konnte sie in ihrer Andacht stören.
Hinter ihr bauten wir uns auf.
Nun erst sahen wir sehr deutlich, was sie so in den Bann gezogen hatte.
Es war ein Bild!
Sie hatte es an der Wand aufgehängt, und es zeigte einen grünen Totenschädel, in dessen Augenhöhlen man Mandarinen hineingesteckt hatte, jedenfalls leuchteten sie so ähnlich.
Keiner von uns hatte ihre Worte vergessen. Der König des Schreckens und der Hunnenkönig, beide waren erwähnt worden. Ob sie damit ein- und dieselbe Person meinte, war uns ebenfalls nicht klar, aber der Schädel war keine Einbildung.
Er war genau in der Mitte des Bildes plaziert. Ob er einfach nur ein Gemälde war oder ob magisches Leben in ihm steckte, war für uns nicht herauszufinden. Auch über die sichtbare Kraft in seinen Augenhöhlen konnten wir nur spekulieren.
Jedenfalls strahlte der Schädel eine Bösartigkeit aus, die auch meinem Kreuz nicht verborgen blieb, denn ich merkte die leichte Erwärmung an der Haut.
Daß wir von der Mulattin überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurden, gefiel uns auch nicht. Ich wollte das ändern und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Sie zuckte zusammen.
»Capri?« sprach ich sie fragend und flüsternd an.
»Wer bist du?«
»Du kennst mich. Ich war in der Wohnung des Lional Drake. Jetzt sehen wir uns wieder.«
»Geh!«
»Nein, ich bleibe, denn ich will, daß du mitkommst. Du sollst uns einiges über einen Maler namens Lorenzo erzählen, Capri.«
»Er lebt nicht mehr.«
»Das wissen wir.«
»Dann geht.«
»Ist er wirklich tot!« Ich ließ nicht locker.
»Er ist vor Zeiten gestorben.«
»Richtig, und seine Bilder sind ebenfalls verschwunden. Sie haben sich in Rauch und Luft aufgelöst – oder?«
»Genau.«
Die Mulattin sprach mit monotoner Stimme. Sie blieb immer gleich, war weder laut noch leise. Diese Person befand sich in einer anderen Welt, auch wenn sie vor uns kniete.
»Was ist mit dem Bild?«
»Es zeigt den König des Schreckens.«
»Attila?«
»Nein, den König.«
Suko räusperte sich. »Ich glaube, ich werde es mal genauer unter die Lupe nehmen.« Mit einer knappen Bewegung holte er die Dämonenpeitsche hervor und schlug einmal einen Kreis über den Boden.
Die drei Riemen rutschten hervor. Ich hörte sie klatschend landen.
Auch jetzt bewegte sich die Frau nicht. Sie schaute auf Sukos Rücken, als der Inspektor auf das Bild zutrat. Die Trance war absolut. Ich rechnete damit, daß die Riemen der Dämonenpeitsche die Magie des Bildes zerstören konnten, vielleicht hatte Capri das auch gedacht, denn anders konnte ich mir ihre Reaktion nicht erklären.
Sie sprang plötzlich auf und warf sich mit einem geschmeidigen Sprung in den Rücken des Inspektors.
Das hätte mich nicht einmal gestört.
Viel gefährlicher war die lange Goldnadel in ihrer Hand, die sie Suko tief ins Kreuz stoßen wollte…
***
Mit einem Sprung hätte ich sie nicht mehr erwischt, mir mußte etwas anderes einfallen.
Blitzschnell stieß ich mein Bein vor und reagierte wie ein Fußballer, der die Notbremse zieht.
Ich verhakte meinen Fuß in Höhe der Waden zwischen ihren Beinen und brachte sie so zum Stolpern. Gleichzeitig hatte ich Suko eine Warnung zugerufen, die ebenso wichtig war wie meine Aktion, denn die fallende Frau hätte ihn trotzdem mit der Nadel noch erwischen können.
So warf sich Suko zur Seite, die verdammte Nadel verfehlte ihn, und Capri landete auf dem Boden.
Sie brüllte wütend auf. Ich warf mich über sie, weil ich sie halten wollte, und Suko kümmerte sich um das verdammte Bild mit dem Schädel.
Er hatte den rechten Arm angehoben, um zuschlagen zu können, dazu aber kam es nicht.
Plötzlich flammte das Bild auf!
Grünes Feuer loderte in die Höhe, der Inspektor zuckte geblendet zurück, duckte sich, hörte, ebenso wie ich das Fauchen, dann klirrte etwas, und im nächsten Augenblick war die clownhafte Fratze verschwunden.
Ich hörte Sukos
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