0655 - Der Fund
hatte er seinen Platz gefunden, um den Blick schweifen zu lassen.
Er sah die Lichter und hörte die Geräusche. Die hellen Punkte zeigten eine bestimmte Form. Sie zeichneten die Umrisse eines Segels nach, das sich im leichten Nachtwind bewegte. Musikfetzen drangen an seine Ohren. Dazwischen ein sich verirrendes Gelächter. Scheinwerfer schleuderten die hellen Fächer ihrer Strahlen gegen das Dach eines Zeltes, aus dem die Musik hervordrang.
Eine andere Welt, nicht seine Welt bisher, aber er fühlte sich von ihr wie magisch angezogen.
Es sollte seine Welt werden.
Und das Monstrum ging weiter…
***
Rauch, Alkoholgeruch, eine Luft, die kaum zu atmen war, schwitzende Gesichter, müde Augen, Stimmung, die nicht mehr von innen her kam, sondern gequält wirkte, denn zu langes Feiern kann auch ins Gegenteil umschlagen. Aber man hielt durch. Das hatte man immer gemacht, wenn die Schützen- und Feuerwehrfeste durchgeführt wurden. Da mussten viele ihre Trink- und Standfestigkeit beweisen, denn links vom Eingang war auf den Brettern eine große Theke errichtet worden.
Hier standen die Experten und schluckten. Das Bier floss in Strömen, der Whisky ebenfalls, und mancher Zecher konnte sich nur noch deshalb halten, weil er von seiner besseren Hälfte gestützt wurde.
Wenn jemand das Zelt verließ, ging er nie normal, sondern stets steifbeinig sowie mit ausgestreckten Armen, als suchte er nach irgendeinem Geländer, das ihm Halt geben konnte.
Die Uniformen, am Morgen und am Nachmittag noch der Stolz zahlreicher Dörfler, zeigten längst nicht mehr den alten Schick oder die gebügelte Glätte. Sie sahen zerknittert aus, bierbefleckt und so trübe wie der Ausdruck in den Augen der Männer.
Aber nicht nur die Älteren feierten im Zelt, auch die Jugend. Seit Jahren schon hatten sie darin einen bestimmten Platz. Es gab da einen runden Stehtisch, an dem sie standen und tranken.
Wer sich ausruhen wollte, setzte sich auf eine der langen Bänke und trank dort.
So erging es auch Helen Friar. Sie hatte nicht mehr bei der grölenden Meute stehen wollen. Helen stammte zwar aus Bellings, sie arbeitete allerdings an der Küste in einem Strandhotel, das gleichzeitig als Sanatorium diente. Ihre Berufswelt und das Zuhause war natürlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Nur hatte es Helen ihren Eltern versprochen, zum Fest zurückzukehren, denn Abe Friar, ihr Vater, gehörte zu den Leuten in der Stadt, die etwas zu sagen hatten. Unter anderem war er der Chef der Freiwilligen Feuerwehr, die er nach deutschem Muster gegründet hatte, weil ihm dies während seines Aufenthalts in Germany besonders fasziniert hatte.
Helen hatte ihrem Heimatort den Rücken gekehrt. Hier hätte sie ihren Job als Hotelkauffrau nicht erlernen können. Da musste sie schon raus aus der miefigen Enge.
Aber jetzt steckte sie wieder drin. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. In diesem Zelt herrschte eine Luft, die den Namen beim besten Willen nicht verdiente. Sie wunderte sich, dass sie es früher ausgehalten hatte. Und sie konnte auch das unselige Hineinschütten von Bier und Schnaps nicht vertragen. In der Clique musste man mittrinken und das wollte sie nicht.
Natürlich passte es den anderen nicht, dass sich Helen abgesetzt hatte. Sie störte sich nicht daran, saß am Tisch und sehnte sich nach einer Dusche, denn nicht nur ihre Kleidung stank erbärmlich, auch sie selbst fühlte sich so.
Als der Schatten neben sie fiel, wusste sie sofort, wer da herangeschwankt kam.
»Hi, Helen.«
Sie blieb stumm.
Rechts von ihr erklang ein Stöhnen. Dann nahm ein junger Mann neben ihr Platz, der auch nicht mehr nüchtern war. Auf seinen Lippen lag ein dümmliches Grinsen, in den Augen stand ein Ausdruck, der kaum zu beschreiben war, aber irgendwie an Glas erinnerte.
Er stieß sie an. »Sprichst du nicht mehr mit deinen alten Freunden? Bist wohl was Besseres?«
»Nein, das nicht.«
»Warum bist du dann nicht bei uns?«
»Weil ich mich setzen wollte.«
»Ähe - ähe…«, er lachte komisch und kieksend. Helen warf ihm einen schnellen Blick zu. Was sie sah, war nicht dazu angetan, sie zu erfreuen. Ronny Orwell hatte sich zu seinem Nachteil verändert.
Er trank zu viel. Sein Gesicht war aufgedunsen, in den Augen zeichneten sich rote Äderchen ab, die aussahen, als würden sie im nächsten Moment platzen. Ronny schaute nicht, er glotzte. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren hatte er schon so viel getrunken wie andere mit fünfzig.
Ronny Orwells Vater gehörte die
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