0660 - Die Totenstadt
Schultern.
Suko hatte die Geste verstanden. »Sie werden noch kommen, keine Sorge. Jedenfalls sollten wir beide wachsam sein.«
»Einverstanden. Andere Frage, Alter. Wie lange ungefähr müssen wir noch fahren?«
»Knapp eine Stunde.«
Ich erhob mich. »Dann gehe ich mal kurz für Königstiger. Bis gleich.«
Der Zug glitt auf der geraden Strecke ruhig dahin. Ich schwankte kaum, als ich den Gang durchschritt. Die Toiletten lagen zwischen den einzelnen Waggons und ich staunte über die Sauberkeit.
Das Fenster bestand aus undurchsichtigem Milchglas. Nur ein schmaler Streifen oben war freigelassen worden, durch den ich schauen konnte. Und da sah ich sie, die beiden Augen!
Es war wie ein Schock. Ich glaubte, über meinen Rücken würde flüssiger Teer laufen, der zudem seinen Weg in mein Inneres fand.
Ein Augenpaar glotzte in die Toilette. Knallrot, böse, wie mit Blut gefüllt.
Etwas krampfte sich in meiner Kehle fest. Sogar das Atmen fiel mir schwer. Da die Augen in einer Höhe mit dem Fenster blieben, machte ich mir klar, dass mich die Fledermaus oder wer immer das Monstrum auch sein mochte, begleitete.
Entweder konnte es so schnell fliegen, wie der Zug fuhr, oder es hatte sich irgendwo an einer Kante des Wagens festgeklammert. Er tat nichts, er glotzte nur.
Ich suchte nach einer Möglichkeit, das Fenster zu öffnen. Die war nicht gegeben und so blieb mir nur, die Scheibe zu zerschießen, wenn ich die Fledermaus stoppen wollte.
Ich holte die Beretta hervor, steckte sie zwei Sekunden später aber wieder weg. Das Wesen draußen musste meine Absicht gerochen haben, denn plötzlich war es verschwunden, als hätte der Fahrtwind es in die finstere Nacht katapultiert.
Also doch. Auf Suko war schon Verlass, das musste ich ihm ehrlich zugestehen.
Natürlich arbeitete mein Gedankenapparat. Ich dachte darüber nach, wie es möglich war, dass ausgerechnet unser Zug verfolgt wurde. Der Grund hing sicherlich nicht mit den normalen einheimischen Fahrgästen zusammen, das lag allein an Suko und mir.
Doch woher wussten die Wesen, dass wir uns im Zug befanden? Wer hatte ihnen Bescheid gegeben? Fledermäuse, Riesenvampire - von diesen beiden Begriffen war der Sprung nicht weit bis zu Nadine Berger und natürlich Dracula II.
Noch war es Theorie, aber ich konnte mir vorstellen, dass sie Wind von unseren Nachforschungen bekommen hatten und nun versuchten, sie im Keim zu ersticken.
Auch sie wollten nicht, dass wir in die Lage gerieten, den Text auf dem Palmblatt zu lesen.
Wenn das tatsächlich stimmen sollte, konnte Nadine Berger möglicherweise eine Zukunft haben.
Vielleicht sogar wieder als normaler Mensch und nicht mehr als Blutsaugerin, denn es sollte ja Methoden geben, die es schafften, einen Blutsauger innerhalb einer bestimmten Zeitspanne wieder in einen Menschen zurückzuverwandeln. Wie die genau aussahen, das wusste ich auch nicht, doch das Palmblatt würde mir darüber Auskunft geben. Davon war ich fest überzeugt.
Die Dinge entwickelten sich nicht eben zu unseren Gunsten, wie ich zugestehen musste.
Ich öffnete die Tür, war noch in Gedanken und wäre beinahe gegen einen Japaner gelaufen, der mir nur bis zur Schulter reichte, sich ebenso erschrak wie ich, dann lächelte, zur Seite trat und mich vorbei ließ.
Ich entschuldigte mich mit freundlichen Worten. Er lächelte, hob die Schultern und zog den Kopf etwas ein.
Komischer Bursche.
Ich ging - und hatte plötzlich das Gefühl, mit beiden Beinen in Eis zu stehen.
Eigentlich hätte ich den Kerl in der gegenüberliegenden Scheibe sehen müssen. Da jedoch zeichnete sich nichts ab und die Toilette hatte er ebenfalls noch nicht betreten.
Auf der Stelle fuhr ich herum, drehte den Körper dabei nach links und sah schon die Bewegung des Mannes, wie er ein Messer aus seinem Jackenärmel schnellen ließ.
Gleichzeitig grinste er - und zeigte dabei zwei spitze Vampirzähne!
***
Ob es die Fledermaus gewesen war, die ich am Fenster gesehen und die sich eventuell in einen zweibeinigen Blutsauger verwandelt hatte, interessierte mich nicht. Auch nicht, wie dieser Unhold dann in den Zug gelangt war. Ich musste schneller sein als der Vampir, der sich zwischen einem Biss und einem Stich entscheiden konnte.
Deshalb trat ich zu.
Es war ein schneller, wuchtiger und gemeiner Tritt, der den Blutsauger im Unterleib erwischte, was bei ihm keine Schmerzen hinterließ. Mir kam es einzig und allein auf die Wucht an.
Ich hatte zudem das Glück, dass der Zug in eine leichte Kurve
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