0667 - Das Horrorhaus von Pratau
nahm auf der Tischkante Platz. »Was hast du, John? Gibt es irgendwelchen Ärger?«
»Nein, nicht hier. Bei dir?«
»Um Himmels willen, nein. Bei mir ist alles in Ordnung. Die Gäste benehmen sich wieder normal. Beinahe schon unnormal. Sie feiern ihre Befreiung oder was immer. Jedenfalls werden die Alkoholvorräte des Hotels kaum ausreichen, um die Lust am Feiern zu stoppen. Es wird furchtbar gesoffen. Das ist nichts für uns.«
»Was macht Bill?«
»Hält noch Wache.«
Ich räusperte mich. »Hör zu, Suko, wir haben beschlossen, einen Schlussstrich zu ziehen.«
»Wie löblich.«
»Aber nicht hier. Wir müssen noch einmal nach Wittenberg.«
»Da steht auch mein Leihwagen.«
»Vergiss den. Ich denke da eher an Nadine Bergers Worte. Sie erwähnte mir gegenüber diese Stadt. Dort muss es ein Geheimnis geben, das für beide interessant ist.«
»Du traust ihr?«
»Weshalb sollte sie mich anlügen?«, fragte ich. »Es hat keinen Sinn. Sie kann nur etwas erreichen, wenn sie uns auf eine ganz bestimmte Spur führt. Dann kann sie auch hoffen, dass wir verlieren. Oder siehst du es anders?«
»Nicht direkt.«
»Na bitte.«
Harry Stahl mischte sich ein. »John, du weißt nicht, was uns in Wittenberg widerfahren ist.«
»Doch, die Sache in Dr. Drakes Haus. Was ist eigentlich mit seinen, sagen wir, Patienten, geschehen?«
»Man hat sie in das Kreiskrankenhaus geschafft«, erklärte der Kommissar.
»Und weiter?«
»Nichts.«
»Also eine Beute für Mallmann?«
Harry Stahl strich über sein Kinn. »Glaubst du denn, dass er sich das Krankenhaus aussuchen wird?«
»Ich habe keine Ahnung. Möchte es allerdings auch nicht so weit wegwerfen. Mallmann wird alle Möglichkeiten nutzen. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass er nicht in eine panikartige Reaktion verfallen ist. Der handelt stets eiskalt und berechnend. Zudem wird er es nicht hinnehmen können, dass wir ihm Nadine entrissen haben, auch wenn es uns nicht gelungen ist, sie zurückzuverwandeln. Das sind alles Dinge, die wir in die Rechnung mit hineinfügen müssen. Aber damit werden wir auch fertig werden müssen.«
Harry Stahl nickte. »Eins will ich euch sagen. An eurer Seite zu sein ist nicht gerade unspannend. Dabei habe ich gedacht, dass ich bei der Jagd damals nach Hoffmann so alles erlebt habe, was es zu erleben gibt. War wohl ein Irrtum.«
»Unsere Gegner sind vielfältiger und vielschichtiger«, gab Suko seinen Kommentar, »aber ich möchte noch einmal auf das Thema Wittenberg zurückkommen.«
»Bitte.«
Suko schaute mich an, dann Harry Stahl und sagte mit leiser Stimme: »Sind es tatsächlich nur die Opfer des Dr. Drake, die ihn in diese Stadt locken?«
»Rechnest du mit einem anderen Grund?«, fragte ich.
»Ja, das tue ich. Aber ich kenne die Stadt zu wenig. Wie ist es mit dir, Harry?«
Stahl hob die Schultern. »Das darfst du mich nicht fragen. Vierzig Jahre Misswirtschaft hat bei uns normalen Menschen das selbstständige Denken nahezu ausgelöscht.«
Suko winkte ab. »Das meine ich auch nicht. Ich möchte weiter zurückgehen. Wittenberg ist eine Stadt mit Vergangenheit. Ich denke da nur an den Reformator Luther. Ihr habt seinen Namen ja noch vor den Ort gesetzt, also Lutherstadt Wittenberg.«
»Stimmt.« Harry Stahl zog die Stirn kraus. »Bist du da nicht auf dem falschen Dampfer? Ausgerechnet Luther, der Reformator? Das will ich nicht glauben.«
»Gab es nur Luther?«, hakte ich nach. »Meiner Ansicht nach haben sich hier noch andere Dinge abgespielt.«
»Ach so.« Stahl nickte. »Klar, es war noch jemand in Wittenberg und hat dort sein Unwesen getrieben, wobei ich das nicht mit Luther vergleichen will. Wittenberg und Leipzig. Da gibt es einen Namen, der sich eingeprägt hat: Dr. Faustus.«
»Genau.«
»Der große Studiosus, der helle Kopf, der fleißige Student, der den Rang eines Magisters erreichte«, zählte der Kommissar auf. »Hinzu kamen noch einige akademische Grade. Faust nannte sich Arzt, studierte Medizin, Mathematik und Astrologie. Er erzielte auch als Heilkundiger allerlei Erfolge, versuchte sich aber gleichzeitig in der Kunst der Magie und Geisterbeschwörung. Er war sehr unstet und einem bürgerlichen Lebenswandel nicht gerade angetan. Nach langen Jahren der Studien- und Wanderjahre kehrte er nach Wittenberg zurück. Er fiel in der kleinen Stadt bald auf und kam in den Verruf der Leichtfertigkeit, denn er hatte das Erbe seines Onkels schnell verbraucht, das ihm hinterlassen worden war. Doch er wollte weiterhin
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