0673 - Die Jagd
weghängen wollen und zunächst nicht zurückgekehrt war.
Sie? Jane strich durch ihr Gesicht, weil ihr im Augenblick der Name entglitten war.
Die Erinnerung kehrte zurück. Francine Joy hieß die Frau. Ihretwegen war Jane nach Arosa gekommen und nicht allein zu ihrem Vergnügen, auch wenn sie auf die Piste gegangen war.
Und noch ein Name brannte sich in ihrem Gedächtnis fest: Logan Costello, der Londoner Mafiachef, der zufällig in Arosa einige Urlaubstage verbrachte, auf Jane aufmerksam geworden war und ihr zwei Killer auf den Hals geschickt hatte.
Auf einmal wusste sie wieder alles, und die Erinnerung war verdammt schlimm.
Es gelang ihr, sich zu erheben. Obwohl ihre Knie weich waren, ging sie die ersten Schritte. Den Kopf hielt sie gesenkt, die Arme vor der Brust verschränkt, als wollte sie sich vor dem kalten Hauch schützen, der in den Raum wehte.
Jane Collins verließ das Zimmer und schaute nach rechts, wo die Haustür lag. Die war verschlossen.
Janes Mantel hing noch an dem Garderobenständer, den Francine Joy durch telekinetische Kräfte bewegt hatte. Sie war keine Frau, sie glich immer mehr einem Phänomen und schien den Weg gefunden zu haben, der zu den neuen Hexen führte. Dabei war sie auch bereit, über Leichen zu gehen.
Das wiederum brachte Jane auf eine bestimmte Idee. Sie ging nach links, dort befand sich der Anbau, da hatte sich etwas abgespielt, an das sie sich nur ungern erinnerte.
Aber sie musste hin.
Jane zitterte nicht nur wegen der Kälte, als sie sich auf den Weg machte. Die Tür stand offen. Der Balkon war niedrig. Sie zog den Kopf ein, um den Anbau zu betreten.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass der nächste Tag längst angebrochen war. Da war sie also die gesamte Nacht ohne Bewusstsein gewesen. »Das gibt es nicht«, flüsterte sie. Die Worte klebten in ihrer Kehle fest. Sie saß zu, und der Geschmacksinn war tot.
Jane drückte die Tür auf. Sie ärgerte sich, den Mantel nicht übergezogen zu haben. Fast schutzlos lieferte sie sich der Kälte aus, die sie allerdings schnell vergaß, als sie das grauenvolle Bild sah.
Die beiden Männer lagen nebeneinander, und sie waren tot.
Wie sie ums Leben gekommen waren, zeigte eine Handschrift des Grauens. Jane presste eine Hand vor den Mund, als wollte sie das Gefühl der Übelkeit zurückhalten. Sie atmete nur durch die Nase.
Alles hatte sie versucht, um Francine Joy von der Tat abzuhalten. Doch die hatte sich nicht beirren lassen und mit der Säurepistole geschossen.
Ein ätzender Geruch wehte Jane Collins entgegen. Da wo die beiden Köpfe einmal gewesen waren, breiteten sich grüngelbe Flecken aus, die leicht dampften.
Francines Werk!
Jane atmete nur durch die Nase. Hinter den Augen spürte sie einen schmerzhaften Druck. Sie stand dicht davor, einfach schreiend wegzurennen. Das wiederum konnte sie auch nicht machen. Sie war nur froh, dass die Joy sie verschont hatte. Aber diese Person wollte etwas von Jane, das stand auch fest. Jane sollte sie auf dem Weg ins neue Hexendasein begleiten. Wie sich Francine den vorstellte, konnte Jane sehen.
Sie drehte sich um. Ihre Augen zeigten noch immer den Schock. Auch das Zittern konnte sie nicht unterdrücken. Es war einfach zu schlimm, was sie da sah.
Sie ging mit weichen Knien weiter. Ihre Schulter glitt an der Wand entlang. Jane merkte es kaum.
Sie nahm den Mantel von der Garderobe, als ihr einfiel, dass sie die verdammte Lederkleidung, die ihr von Francine verpasst worden war, nicht mehr tragen wollte. Sie hasste dieses Zeug.
Zum Glück fand Jane ihre eigene Kleidung wieder, die in einer Ecke des Zimmers lag. Während des Anziehens kam Jane zu Bewusstsein, dass bisher nur mit ihr gespielt worden war. Eigentlich war sie gekommen, um die Initiative zu ergreifen, und genau das Gegenteil war eingetreten.
Francine Joy setzte hier die Akzente auf der einen Seite, auf der anderen Logan Costello.
Jane konnte nicht einmal genau sagen, wer schlimmer war. Die Joy näherte sich dem Mafioso mit Riesenschritten. Zudem waren es seine Leute, die unter der Einwirkung der Säure gestorben waren.
Costello hatte sie bestimmt schon vermisst, würde sie suchen lassen und sicherlich Jane die Schuld am Verschwinden der beiden in die Schuhe schieben. Damit war voll und ganz zu rechnen.
Costello reagierte kalt und grausam. Jane stand in diesem Fall auf seiner Abschussliste. Man würde Jagd auf sie machen. An jeder Ecke konnte einer von Costellos Leuten lauern.
In dieser Hütte war sie längst nicht mehr sicher.
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