0702 - Die Nacht der bösen Frauen
nicht gelang, den leeren und starren Blick eines Toten zu kopieren. Deshalb waren sie halb geschlossen, der Blickwinkel dementsprechend eingeschränkt, und als sie um mich herumging, konnte ich eigentlich nur mehr schielen, aber nicht genau schauen.
Glücklicherweise warf der Waldrand einen breiten Schatten, der auch mich erreichte und schützte.
Maria ging sehr leise. Sie trug nicht einmal Schuhe.
Sie blieb stehen.
Sie atmete, dann sprach sie flüsternd: »Bist du tot, du verdammter Hund? Bist du endlich tot? Du wirst meine Herrin nicht mehr stören, du nicht, du Bestie…«
Das waren ja herrliche Aussichten. Jetzt wußte ich endlich, was sie von mir dachte.
Noch immer peilte ich in die Höhe. Sie hatte nichts bemerkt. Links von mir stand sie in Halshöhe.
Sie beugte sich vor.
Etwas Langes schaute aus der Faust hervor. Es war der Pfeil, die Spitze wies nach unten.
Genau auf meine Brust!
Und das war kein Spaß. Wahrscheinlich wollte sie auf Nummer Sicher gehen. Der Arm zuckte hoch, sie holte aus und stieß zu.
Ich rollte mich weg!
Himmel, ich mußte schnell sein! Ich schaffte es, ich hörte einen Schrei, dann rammte die Spitze des Pfeils hinter mir zu Boden, der Pfeil zerbrach.
Der Schrei wurde zu einem Heulen.
Ich war schon wieder auf den Beinen und flirrte herum.
Maria griff an.
Sie war enttäuscht, aber sie kochte vor Zorn. Wie ein gefährliches Tier sprang sie mich an. Nichts war mehr von ihrer naiven Unschuld geblieben, sie sah jetzt aus wie eine kleine Bestie, fauchte sogar und wollte mir ihre spitzen Fingernägel in den Hals stoßen, denn auch so konnte man einen Menschen töten.
Ich war schneller.
Meine Hand wischte durch die Luft. Ich traf ihre Arme, dann schlug ich ihr in den Rücken, so daß sie zu Boden fiel und sich dort noch überschlug.
Aber sie kam wieder hoch, denn aufgeben wollte sie nicht!
Ihr Blick war haßerfüllt und gemein. Jetzt sah ich ihr an, daß die Kräfte der Hexe in ihr steckten.
Und ich nahm das Kreuz.
Der Teufel haßte es, und seine Dienerinnen, die Hexen, fürchteten es ebenfalls.
Ich hielt es ihr hin.
Sie schrie fürchterlich auf. Sie weinte, sie kroch zusammen, sie wälzte sich am Boden, sie wollte weg, aber ich blieb ihr eisenhart auf den Fersen.
Sie war nur ein zuckendes Bündel, mit dem man eigentlich hätte Mitleid haben müssen, aber das hatte ich nicht, durfte ich nicht haben, denn für mich war sie um keinen Deut besser als eine gefährliche Mörderin.
Ich zerrte sie hoch.
Dann gab ich ihr das Kreuz.
Das Gesicht war einfach so dicht vor mir, daß ich nicht anders konnte. Und plötzlich leuchtete in ihren Augen etwas auf, das kein Feuer war. Dafür ein Gesicht.
Zweimal Assunga.
Und zweimal lächelte sie, bevor ihr Bild wieder verschwand und Maria in meinem Griff zusammensackte.
Sie war tot, und sie hatte keine Augen mehr. Statt dessen sah ich schwarze Flecken.
Waren die Augenhöhlen leer?
Ich ließ sie zu Boden fallen, fühlte nach dem Herzschlag, der nicht mehr vorhanden war.
Dann berührte ich mit den Fingerkuppen ihre Augen. Nein, sie waren nicht leer, ich spürte einen sehr weichen, gallertartigen Widerstand, doch es gab keine Pupille mehr. Nur die schwarze Masse.
Assunga mußte bemerkt haben, daß mein Kreuz stärker war als Maria. Und sie hatte ihren Einfluß zurückgezogen, die Dienerin im Stich gelassen. Darin unterschied sie sich in Nichts von dem Teufel.
Maria war aus der Vergangenheit gekommen und in der Zukunft gestorben. Sie würde nicht mehr in die Vergangenheit, in ihre Zeit, zurückkehren können. Sie war aus dem großen Weltenspiel kurzerhand entfernt worden. Ich wollte nicht näher darüber nachdenken, sonst machte ich mich noch verrückt.
Assunga war es gelungen, auf eine nahezu teuflische Art und Weise die Zeit zu manipulieren. Sie hatte den Mantel gefunden. Für mich mußte an erster Stelle stehen, ihr dieses Kleidungsstück wieder wegzunehmen.
Maria war ein Vorposten gewesen, und ich dachte darüber nach, wie viele Frauen sie als ihre Dienerinnen aus der Vergangenheit mit in diese Zeit gebracht hatte.
Noch einmal stellte ich mir das Bild im Pavillon vor. Der Mantel war so breit, um damit mehrere Personen umschlingen zu können. Waren es fünf Frauen gewesen oder sechs?
So genau wußte ich das nicht.
Und wer, so fragte ich mich, würde mich noch erwarten, wenn ich weiterging. Warum sollte ich daran gehindert werden, Plakac zu betreten? Hatte Assunga Angst?
Sicherlich nicht vor mir, aber vor meinem Kreuz. Wenn sie
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