0727 - Mystic, der Maniac
recht. Hier fiel er auch nicht auf. Seinem Aussehen nach war er einer unter vielen.
Düfte wehten ihm entgegen.
Plötzlich verspürte er Hunger. Er lächelte, denn es war ein gutes Zeichen.
Neben dem schlauchähnlichen Eingang zu einem kleinen Restaurant blieb er stehen. Eine innen hängende Gardine verwehrte ihm den Blick in den Saal.
Er drückte die Tür auf. Suko schob den Windfang auseinander und betrat einen sehr dunkel gehaltenen Raum, in dem nur wenige Tische standen. Fünf, mehr waren es nicht.
Er ging auf den nächstbesten Tisch zu, der sich am Fenster befand. Die Gardine hing in Reichweite.
Hinter der schmalen Theke löste sich ein spindeldürrer Mensch, der sein lackschwarzes Haar sorgfältig gescheitelt hatte. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose. Suko wurde von ihm in Kantonesisch angesprochen.
»Kann ich hier etwas essen?«
»Wir haben schon zu.«
»Aber ich…«
»Nur eine Frühlingsrolle.«
»Das würde reichen.«
Der Wirt nickte. »Auch etwas trinken?«
»Tee, aber heiß.«
»Das ist gut bei dieser Kälte.« Er ging davon. Auf dem rot angestrichenen Boden lagen schmale Teppiche. Sie sahen aus wie lange Zungen. Es war still. Suko hörte, wie der Mann in der Küche etwas zu seiner Frau sagte, die sich mit schriller Stimme über den Hunger des späten Gastes beschwerte, sich aber doch an die Arbeit machte.
Der Wirt kam schnell wieder. Er brachte den Tee mit, stellte ihn auf den Tisch und nahm selbst Platz.
»Danke«, sagte Suko. Er schenkte Tee in die Tasse und stellte fest, daß er beobachtet wurde. Der Mann sah aus, als hätte er etwas auf dem Herzen, war aber zu höflich, um eine Frage zu stellen. Erst als Suko getrunken hatte, meinte er: »Du bist fremd.«
»Richtig.«
»Lange schon hier?«
»Nein.«
»Kommst du aus der Heimat?«
»Auch nicht. Aus London.«
Sukos Tischnachbar lächelte. »Ah, eine schöne Stadt. Lange habe ich dort gewohnt. Dann aber mußte ich gehen. Hier gefällt es mir auch«, sagte er ohne jede Überzeugung.
Suko fragte nicht nach dem Grund des Verschwindens. Er konnte ihn sich vorstellen. Wahrscheinlich hatte man den Mann unter Druck gesetzt, denn die chinesische Mafia wollte nicht jeden haben.
»Soll ich jemand grüßen, wenn ich wieder zurückkehre?« erkundigte sich der Inspektor.
»Nein, nicht mehr.«
»Ich hätte es aber getan.«
Der Wirt nickte. »Das glaube ich dir gern. Ich heiße übrigens Hu.«
»Ich bin Suko.«
Hu lächelte nur, was dem Inspektor nicht gefiel. Er wurde allerdings abgelenkt, denn eine kleine, dicke Frau, die ihr Haar zu Zöpfen geflochten hatte, brachte das Essen.
Sie blieb vor dem Tisch stehen und schaute Suko böse an. Fast wütend stellte sie den Teller ab.
Dann drehte sie sich heftig um und trippelte davon.
Suko schaute auf das Essen. Die Frühlingsrolle sah knusprig aus und wie aus der Tiefkühltruhe gezaubert. Man stellte sich eben auf den Geschmack der Touristen ein.
»Guten Appetit.«
»Danke.« Suko nahm die Gabel und zerknackte den harten Teig der Rolle. Der Inhalt quoll hervor.
Gemüse, etwas Fleisch, Sojasprossen, alles ziemlich klein geschnitten. Eine Soße hatte die Frau nicht gebracht. Suko aß langsam. Er wollte entspannen und hatte auch nichts dagegen, daß frischer Tee gebracht wurde. Auch Hu trank einige Schlucke. Er beobachtete seinen Gast.
Das fiel Suko auf. Er sagte aber nichts und tat so, als hätte er die Blicke nicht bemerkt. Schließlich stellte Hu eine Frage. »Wer bist du eigentlich?« wollte er wissen.
Der Inspektor schob den Teller zur Seite. »Ein Landsmann von dir aus London.«
Hu nickte. »Ja und nein.«
»Wie meinst du das?«
»Ich glaube dir nicht so ganz. Du kommst aus London, ja, das kann stimmen, aber du bist irgendwie anders. Du siehst aus, als wärst du vor jemandem auf der Flucht und müßtest dich verstecken. Stimmt es?«
Suko schaute den Mann an. »Wie kommst du darauf?«
»Ich spüre es.«
»Gefühl?«
Hu nickte. Sein etwas knochiges Gesicht verzog sich dabei zu einem breiten Grinsen.
»Nein, ich will mich nicht verstecken.«
»Warum bist du dann hier?«
Suko deutete auf den leeren Teller. »Weil ich hungrig gewesen bin. Das ist der Grund.«
»Und wo wohnst du?«
Der Inspektor hob die Schultern. »In Paris, bei Freunden. Irgendwo in dieser Stadt. Ich bin auf dem Weg zu ihnen, aber ich kenne mich nicht so gut aus. Sie wohnen hier im elften Arrondissement, das weiß ich gerade noch.«
»Dann bist du richtig. Lebst unter uns. Wenn du mir die Namen
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