0730 - Ssacah-Virus
flüchtete mit der Aktentasche. Der Anzugträger blieb schockiert stehen.
Annette zog ihren Morgenmantel enger. Bis auf das seidene Kleidungsstück war sie nackt. Für ihre Arbeit musste sie nicht unbedingt korrekt angezogen sein. Was der jungen Frau, die sich gern locker gab, auch lieber war.
Die Prädikats-Absolventin einer Elite-Uni arbeitete als Informations-Brokerin.
Ihr Job war es, im Internet und offline nach schwer zugänglichen Informationen zu suchen. Genauer gesagt: Wie eine Detektivin durchforstete sie die Welt nach Spezialwissen, das mit harten Dollars bezahlt wurde.
Ihre selbst programmierten Super-Suchprogramme durchwühlten das Internet. Annette gönnte sich selbst gerade eine Pause.
Es war Abend, die Stunde der Dämmerung. Von ihrem Wohnzimmerfenster aus hatte die Brokerin einen traumhaften Ausblick über das altehrwürdige Amsterdam. Bis hinunter zum Hafen reichte die Sicht von ihrem Apartment aus. Das Abendlicht glitzerte auf dem Wasser der Grachten und in weiterer Entfernung zwischen den mächtigen Leibern der Seeschiffe.
Und trotz dieser angenehmen Atmosphäre fühlte Annette Furcht in sich aufsteigen. Was war mit ihr los? Hatte der Anblick des Raubüberfalls sie aus der Bahn geworfen? Nein, daran konnte es nicht liegen. Als alteingesessene Amsterdamerin war sie schon insgesamt fünfmal selbst Opfer eines Verbrechens geworden.
Und in ihren vier Wänden fühlte Annette sich absolut sicher. Schmiedeeiserne Fenstergitter waren in die Wände eingelassen, die Wohnungstür verfügte über Stahlriegel und das ganze Apartment war mit zwei voneinander unabhängigen Alarmanlagen versehen. Sie hatte alles an Sicherheit, das man für Geld kaufen konnte.
Und doch fühlte sie sich so unwohl wie seit Jahren nicht mehr. Solche Anwandlungen waren ihr völlig fremd.
Wirst du am Ende noch hysterisch?, fragte die Brokerin sich selbst. Das konnte sie sich nun wirklich nicht leisten. Sie beherrschte ihren Job. Aber trotzdem erforderte er höchste Konzentration.
Und die war nicht mehr vorhanden. Annette lief von ihrer Chippendale-Anrichte hinüber zu dem imitierten Marmor-Kamin. Sie schnippte ein paar nicht vorhandene Staubkörner von den samtenen Kissen auf ihrem Wohlfühl-Sofa. Auf der riesigen Arbeitsplatte summten ihre drei Rechner online immer noch vor sich hin.
Annette merkte selbst, wie nervös und fahrig sie geworden war. Normalerweise übte das Arbeitsgeräusch der Computer eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Aber auch das funktionierte an diesem Abend nicht.
Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken auszugehen. Amsterdam war immer noch eine Stadt, in der man sich köstlich amüsieren konnte. Oder sie setzte sich in ihren Porsche, der in der bewachten Tiefgarage seinen Stellplatz hatte.
Im Nullkommanichts konnte sie in Zandvoort sein, dem Seebad unweit von Amsterdam. Ein wenig auf das nächtliche Meer starren und dann im Holland Casino ein paar Tausend Euro auf den Kopf hauen.
Ja! Genau das würde sie tun!
Annette wandte sich ihrem Kleiderschrank zu. Wie warf man sich am besten für solch einen Trip in Schale?
Doch bevor sie diesen Gedanken zu Ende führen konnte, ertönte ein leises Summen. Zunächst glaubte die Brokerin, es käme von ihrem amerikanischen Nostalgie-Kühlschrank. Aber der verhielt sich momentan friedlich. Außerdem war die Tür zur kleinen Küche fest verschlossen.
Das Summen blieb. Irrtiert horchte Annette in verschiedene Richtungen. Die Arbeitsgeräusche ihrer Hochleistungsrechner klangen anders. Die erkannte sie auch im Schlaf.
Im Schlaf! Vielleicht war ihr Radiowecker defekt? Sie stürmte hinüber ins Schlafzimmer, schaltete sicherheitshalber das Gerät ein. Ihr Lieblingssender Radio Tiengold war programmiert. Aber als sie den Radiorecorder einschaltete, veränderte sich das Hintergrund-Summen überhaupt nicht. Es wurde nur zeitweilig von Buddy Holly übertönt.
Als Annette das Gerät ausdrehte, zitterte ihre rechte Hand. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihre drei Rechner auszuschalten. Dann wäre es totenstill in dem Apartment. Dann müsste sie hören können, woher das Summen kam.
Doch erstens wollte sie das nicht. Die Suchroutine konnte man nicht einfach abbrechen, das würde die Arbeit von mehreren Stunden zerstören.
Und zweitens fiel ihr nun auf, dass sie sich getäuscht hatte. Es war kein Summen, das man in ihrer Wohnung hörte.
Sondern ein Zischen…
Ein Zischen! Damit kam Annette überhaupt nicht klar. Keines ihrer elektrischen oder
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