074 - Der Sohn des Zyklopen
Jäger sprach davon, als sei so etwas im Baskenland alltäglich, und Dorian wußte, daß solche Versammlungen zumindest keine Seltenheit waren.
„Pedro wird Sie begleiten“, führte der Baskenführer weiter aus. „Er kennt jedes Haus und seine Geschichte. Darüber hinaus kann er Ihnen jedoch nicht helfen. Sie müssen schon selbst sehen, wie Sie mit den Leuten fertig werden. Berufen Sie sich aber besser nicht auf mich! Ich habe zwar großen Einfluß, aber ich bin mehr gefürchtet als geliebt."
Er sagte das nicht ohne Stolz. Dorian wußte, daß er früher, als er noch schlicht Ramon Banzon hieß, so etwas wie ein Idol der Basken gewesen war. Er war der beste Pelota-Spieler in weitem Umkreis, konnte die schwersten Steine stemmen und am schnellsten Baumstämme zersägen.
Banzon war der Matador schlechthin, wenn er auch nie die Laufbahn eines Stierkämpfers eingeschlagen hatte. Aber wenn er in Pamplona an der Feria de San Fermin teilnahm und seine Kraft mit den jungen Stieren maß, da flogen ihm die Frauenherzen nur so zu. Er hatte sich jedoch einem ganz anderen Gebiet zugewandt: Der Wiederbelebung der alten baskischen Religion und der Austreibung der dämonischen Mächte in seinem Land.
Obwohl sie demnach eigentlich vom selben Fach waren, konnte Dorian nie recht warm mit ihm werden. Daß Eiztari Beltza es ihm gestattete, die Nachforschungen, den Zyklopenjungen betreffend, zu führen, hatte keine kollegialen Gründe, sondern war dem Umstand zu verdanken, daß es den Leuten bei Eiztari Beltzas Anblick vor Furcht die Sprache verschlug. Es hieß, daß das Femegericht des Schwarzen Jägers schon so manchen zum Tode verurteilt hatte, der sich dämonischer Umtriebe verdächtig machte. Und es sollten auch Unschuldige darunter gewesen sein.
„Ich werde mich schon zurechtfinden", sagte Dorian. „Aber etwas anderes. Wenn die Leute Sie so fürchten, Beltza, könnte es doch sein, daß sie Ihre Einladung zur Jagd ausschlagen."
„Sie werden alle kommen, eben weil sie mich fürchten", behauptete Eiztari Beltza. „Jeder, der imstande ist, ein Gewehr zu halten, wird mir durch sein Erscheinen beweisen wollen, daß er nichts zu verbergen hat. Es liegt nun an Ihnen, Dorian, unter den Verdächtigen den Schuldigen zu finden - und an mich auszuliefern."
Statt einer Antwort sagte Dorian: „Werden Sie auch noch rechtzeitig zur Jagd die Patronen mit dem Silberschrot herstellen können?"
Der Baskenführer erhob sich. Er fand es unter seiner Würde, eine solche Frage überhaupt zu beantworten.
Er verabschiedete sich von Pedros Frau, nickte Dorian herablassend zu und verließ mit seinen beiden Begleitern das Haus.
Dorian war, als atmete Pedro erleichtert auf, nachdem der Schwarze Jäger gegangen war.
Das Baztan-Tal, das sich über den Oberlauf der Bidassoa bis zur Hauptstadt Elizondo erstreckte, hatte nicht nur vierzehn Dörfer aufzuweisen, die eine einzige Gemeinde bildeten und nach dem alten Vorbild der Pyrenäenhochtäler verwaltet wurden, sondern hier gab es auch unzählige sogenannter „Cinco Villas". Diese Häuser waren einander ziemlich ähnlich mit ihren steinernen Fassaden, den Holzbalkons in der obersten Etage, die vom Vordach geschützt wurden, und den einst sicherlich recht bekannten Familienwappen, die die Giebel zierten.
Heute, so erfuhr Dorian von Pedro, lebten fast durchwegs fremde Familien in diesen „Cinco Villas", die sich nur mit dem alten Wappen zierten.
Sieben solcher Häuser hatte Dorian bereits aufgesucht. Das achte Haus unterschied sich von den anderen kaum - am ehesten vielleicht durch Verfallserscheinungen. Zum Unterschied zu den anderen Häusern war es alles andere als gepflegt. Der Wald rückte bis dicht an das gedrungene Haus heran, das sich wie Schutz suchend gegen den Hang lehnte. Das Haus schien unbewohnt, die Scheune und der Stall schienen seit einiger Ewigkeit unbenutzt.
„Hier wohnt die Familie Aranaz", erklärte Pedro dem Dämonenkiller, als er den Wagen unten an der Straße anhielt. „Sie sind vor zwei Jahren hierher gezogen und haben seither ein Einsiedlerleben geführt. Soviel man erfahren hat, war der Mann früher ein Beamter der Regierung. Er muß recht wohlhabend sein, weil er sich zur Ruhe setzten konnte. Die Frau ist ungewöhnlich hübsch - aber scheu. Vielleicht ist der Mann aber nur eifersüchtig und läßt sie deshalb nicht in die Öffentlichkeit." „Wodurch haben sich die Aranaz' verdächtig gemacht?" fragte Dorian.
„Durch ihr zurückgezogenes Leben. Etwas anderes kann
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