0743 - Finsternis
rascheln. Der Mann schien von einer Krankheit befallen zu sein.
Dann nickte er.
Und wieder sah es so aus, als würde sein Kopf abfallen. »Ja«, sprach er flüsternd. »Ja, ich bin erfreut, denn ihr habt genau das Richtige getan. Er ist es. Er ist der Junge, auf den wir schon so lange Jahre gewartet haben.«
»Dann sind Sie zufrieden, Doktor?«
»Sehr sogar.«
Dagmar, die auch die erste Frage gestellt hatte, atmete auf. Ihr war ein Stein vom Herzen gefallen.
Jetzt hatte sie freie Bahn, sie konnte alles vorbereiten.
Dr. Sträter hob den Kopf. »Ich habe bei meiner Ankunft gespürt, daß wir unter uns sind. Dieses Hotel ist gut. Die Finsternis wird kommen. Sind wir unter uns? Stimmt das?«
»Ja.«
»Keine Feinde?«
Er hatte die letzte Frage mit erhobener Stimme gestellt, das Lauern darin war nicht zu überhören gewesen, und Dagmar wußte, daß sie ihm die Wahrheit sagen mußte. Wenn er sie später herausfand, war das nicht sehr gut.
»Fast keine Feinde.«
Der Alte erstarrte noch mehr, obwohl dies kaum möglich war. Er bewegte seine Finger. Es war erstaunlich, daß er es schaffte, die Hände zu Fäusten zu ballen. »Wie soll ich das verstehen?« Aus seinem Mund drangen die Worte rasselnd hervor.
»Ganz einfach, Doktor. Ich habe jemand gesehen, dem ich nicht trauen kann.«
»Wer ist es?«
»Ein Mann.«
»Wie heißt er?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben auf Sie gewartet und sind nicht dazu gekommen, uns zu erkundigen. Aber er wohnt hier im Hotel. Bei unserer Ankunft ist er mir aufgefallen. Er steht uns nicht freundlich gegenüber. Seine Aura war ziemlich übel.«
Der Alte runzelte die Stirn. »Ein Mann?« wiederholte er und ließ die Zweifel in seiner Stimme klingen. »Mehr nicht? Oder muß ich noch mit anderen Überraschungen rechnen?«
»Wir haben einen zweiten schon töten können. Bei der Herkunft, im Zug.«
»Das ist gut«, flüsterte der Alte kehlig. »Wer hat ihn denn getötet? Du, Dagmar?«
»Nein, der Junge!«
Durch die Gestalt des Rollstuhlfahrers ging ein Ruck. Es sah im ersten Moment so aus, als wollte er sich aufrecht hinsetzen und aus seinem Gefährt steigen, dann sackte er wieder zusammen und kicherte leise. »Ich freue mich, daß Elohim die Feuertaufe bestanden hat. Freust du dich auch?«
Der Junge nickte.
»Das ist wunderbar«, gab der alte Mann zu. »Aber zu etwas anderem. Das war im Zug. Du hast von einem Mann gesprochen, der sich hier im Hotel aufhält, Dagmar. Ist er allein?«
»Nein, er kam mit einer Frau.«
»Weiter!«
»Nichts weiter. Es ist alles normal.«
»Gibt es noch einen Feind hier im Hotel?«
Dagmar hatte mit dieser Frage gerechnet. Es war ihr peinlich, eine Antwort geben zu müssen, untermauerte diese jedoch ihr Versagen. Sie schaute zu Boden und hob die Schultern. Erst danach sagte sie mit leiser Stimme: »Wir haben es leider nicht verhindern können.«
»Wer ist es?« Plötzlich klang die Stimme des Alten laut und so metallisch, als wären die beiden Seiten einer Schere zusammengeklappt.
»Franca Simonis!«
Der Rollstuhlfahrer keuchte auf. Dann fluchte er. In sein Gesicht trat sogar Farbe. Er wollte etwas sagen, doch Dagmar kam ihm damit zuvor. »Wir haben jemand zu ihr geschickt.« Dr. Sträter schaute hoch.
»Er ist sicher.«
»Dann kann ich davon ausgehen, daß uns diese Person keine Schwierigkeiten machen wird.«
»Das können Sie, Doktor.«
»Gut. Bleibt dieser Mann. Woher wußten Sie, daß er nicht zu unseren Freunden zählt?«
»Das spürt man. Er hatte keine guten Schwingungen.«
Sträter fuhr mit der Hand durch sein Gesicht. Er brauchte Zeit, um nachzudenken. »Glaubst du, daß man ihn schickte, um uns zu stören. Ist er ein Feind?«
»Ich weiß es nicht genau. Er steht uns jedenfalls nicht positiv gegenüber. Ob man ihn allerdings geholt hat, um zu vernichten oder zu zerschlagen, kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Das sollten Sie herausfinden.«
»Natürlich.«
Der Alte sprach weiter. »Sie sollten sich um ihn kümmern. Es bleibt nicht viel Zeit. Wir stehen am Beginn der Finsternis. Sie wird in den folgenden Stunden hereinbrechen. Wir werden uns draußen versammeln und die Zeichen sehen. Niemand darf uns dabei stören. Dies ist der Ort, der uns allein gehören soll.«
»Das weiß ich.«
»Dann versuchen Sie herauszufinden, wer dieser Mensch ist. Ich weiß ja, daß nicht alle Gäste hier zu uns gehören. Jedenfalls dürfen wir uns keine Störung erlauben. Ach ja, da wäre noch etwas. Haben Sie nicht gesagt, daß er zusammen mit einer
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