0748 - Horror im Hexenhaus
die Höhle gedrückt.
Es bewegte sich auch nicht und war einfach nur starr.
Das rechte war gar nicht vorhanden.
Sheila starrte in eine leere Augenhöhle, die aussah wie der Beginn eines dunklen Tunnels, aus dem jeden Moment irgendein Gewürm hervorkriechen konnte. In der linken Hand hielt die Person eine alte Laterne. Sie bestand aus Eisen und war so aufgeteilt wie ein Fenster. Dahinter leuchtete ein bleiches, völlig unnatürliches Licht.
Ihre Haare standen ab. Sie bewegten sich an den gekräuselten Spitzen zitternd, obwohl kein Durchzug herrschte und auch kein Windhauch den Flur entlangweihte.
Obwohl Sheila nur Sekunden auf dem Platz gestanden hatte, kam es ihr vor, als wären es Minuten, wenn nicht sogar schon Stunden gewesen. Zum Glück hörte sie ihren eigenen Herzschlag, denn ein solches Wesen konnte einen Menschen auch zu Tode erschrecken.
Die Geisterfrau bewegte sich nicht. Sie stierte Sheila mit dem einen Auge an, aber die leere Höhle kam ihr dabei noch gefährlicher vor. Als wollte sie ein Opfer zu sich heranziehen.
Dann zuckten plötzlich die ebenfalls braunen und rissigen Lippen in dem Faltengesicht. Es war kein Lächeln, das sich dort abzeichnete, eher ein wissendes, böses und hinterhältiges Grinsen, das alles Grauen der Hölle versprach.
Sheila wunderte sich, wie gut sie den ersten Schreck überstanden hatte. Ihr rechtes Bein zuckte schon, weil sie auf die Geisterfrau zugehen wollte, als diese zu ihr kam.
Zuerst bewegte sich die Laterne, als hätte sie einen gewissen Schwung bekommen.
Dann glitt die Gestalt vor.
Lautlos wie ein Nebelstreif, unheimlich und gespenstisch im hellen Flur anzusehen.
Sheila hörte eine Stimme.
Krächzend und singend zugleich drang sie in ihr Bewußtsein, untermalt von einem häßlichen Kichern. Sie wartete darauf, etwas verstehen zu können, möglicherweise hatte die Geisterfrau eine Botschaft für sie, dann wurde sie von etwas Kaltem gestreift, das Sheila erschaudern ließ. Es war ein Totenhauch, ein Gruß aus dem Jenseits, der an ihr vorbeiglitt und dann verschwand.
Sehr langsam drehte sich Sheila Conolly um. Sie kam sich vor wie eine Gefangene, deren Träume Realität geworden waren. Sie schaute in die Richtung, wo sie diese geheimnisvolle Frau eigentlich hätte sehen müssen. Da war nichts mehr, nur die Wand mit dem Bild von Andy Warhol. War sie dort hineingetaucht?
Sheila konnte keine Antwort geben. Wie eine alte Frau schlich sie zurück in ihr Zimmer. Damit reagierte sie noch gefaßter, als viele andere es getan hätten. Sie schrie nicht, sie verlor nicht die Nerven, sie setzte sich auf die Bettkante und hatte den Eindruck nicht mehr in einer Puppenstube zu sein, sondern auf einer Insel zu stehen, die mitten im Jenseits lag, nur, daß sie eben eine normale menschliche Umgebung zeigte.
»Ich bin nicht verrückt!« flüsterte sie. »Ich habe mir die Person auch nicht eingebildet. Die hat es gegeben. Die ist mir entgegengeschwebt. Es gibt keine andere Lösung.« Ihre Hände sanken schlapp nach unten und blieben auf den Oberschenkeln liegen.
Zum erstenmal erwischte sie der Bann einer tiefen Angst. Auch Angst davor, in eine Falle gelockt worden zu sein. Das aber hätte zur Folge haben müssen, daß ihr jemand die Falle gestellt hatte, und da wiederum wäre nur eine Person in Frage gekommen.
Jolanda Norman!
Sie hatte Sheila die Einladung zukommen lassen, sich ihre neueste Kollektion anzusehen. Aber war das überhaupt möglich? Sheila wollte einfach nicht daran glauben. Nein, keine Frau wie Jolanda.
Die steckte nicht mit schwarzmagischen Kräften unter einer Decke. Das war einfach nicht zu akzeptieren.
Im Gegensatz dazu standen die unheimlichen Vorfälle.
Einmal die Gestalt am Fenster, die einen imaginären Kopf auf Sheilas Wagen geworfen hatte. Dann das blutüberströmte Gesicht der Freundin, als wäre diese von zahlreichen Rasierklingen geschnitten worden. Und nun das persönliche Zusammentreffen zwischen Sheila Conolly und dieser geheimnisvollen Geisterfrau.
Sheila dachte darüber nach, ob es dieselbe Frau gewesen war, die sie am Fenster gesehen hatte. Sie holte sich das Bild noch einmal in die Erinnerung zurück und mußte sich eingestehen, daß die Entfernung beim erstenmal zu groß gewesen war, als daß sie hätte genau sagen können, die oder die war es.
Sie konnte es sein…
Sheila fror. Es lag nicht am Wetter. Eine innere Kälte ließ sie erschauern. Auch ihre Hände zitterten, und sie überlegte sich, in welch eine Falle sie wieder
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