0761 - Nefrets Todesvogel
weiter Ferne erklang Musik. Sie konnte für meinen Geschmack durchaus aus dem Himmel erklingen, erinnerte mich an den Sphärenklang, der von einer einzigen Flöte geschaffen worden war, um eine Botschaft als Melodienreigen zu bringen.
Auch die drei Frauen hatten ihre Arbeit für einen Moment unterbrochen. Sie lauschten den Klängen mit schiefgelegten Köpfen und offenen Mündern. Wenig später bewegten sie sich wieder und salbten den nackten Körper weiter ein.
Sanft und behutsam gingen sie vor. Ihre Hände und Arme bewegten sich im Reigen der Flötenmusik, und sie selbst fingen an zu singen. Leise und schmeichelnd summten sie die Melodie mit. Sie wirkten auf mich wie Menschen, denen die Arbeit noch Freude bereitete.
Wie würde es enden?
Es dauerte seine Zeit, bis der gesamte Körper mit dem Öl des Lebens eingerieben worden war und sich die Frauen das lange Haar der Nefret vornehmen konnten.
Sie bürsteten es noch aus, ließen die Strähnen durch ihre Finger gleiten, als wollten sie noch einmal die Festigkeit prüfen. Dann tauchten sie Kämme in das goldene Öl und strichen diese durch das lange Haar der wie tot daliegenden Frau.
Immer und immer wieder strichen sie die lange Flut glatt, bis jeder Haar den goldenen Schimmer erhalten hatte. Danach traten sie zurück, verbeugten sich vor der starren Gestalt, drehten sie auf den Bauch, und als sie ihre Hände vom Körper lösten, da sah ich, daß die goldene Farbe nicht an ihnen klebte, sondern schon getrocknet und in den Körper eingezogen sein mußte.
Eine der Frauen hob die Hand. Sie winkte in den Hintergrund, wo das Halbdunkel wie ein mächtiger Schatten lag. In ihrer Nähe brannten zwei Öllampen, die ihren gelblichen Schein ausbreiteten und die Kammer erhellten.
Schritte klangen auf. Eine Frau huschte heran. Sie war schon älter. Ihr Gesicht zeigte Runzeln und Narben. Mit zitternden Händen hielt sie ein großes, goldfarbenes Stück Stoff hoch, das sich bei näherem Hinsehen als umhangähnliches Kleid entpuppte.
Zwei Frauen nahmen es ihr ab.
Die dritte Frau hatte Nefret angehoben und aufgesetzt. Gemeinsam streiften sie der starren Person das Kleid über. Auch dabei gingen sie sehr geschickt und vorsichtig zu Werke, als wollten sie die Person nicht verletzen.
Das alles hatte mich an eine heilige Handlung erinnerte, und wahrscheinlich war es auch so etwas.
Ich kannte mich in den alten Ritualen am wenigsten aus.
Jetzt war die Arbeit beendet.
Die Frauen versammelten sich am Fußende der sarkophagähnlichen Unterlage. Sie standen so dicht zusammen, daß sich ihre Körper dabei bemühten.
Stumm und auf ihr Werk herabblickend.
Sekunden verstrichen.
Das Flötenspiel war verstummt. Genau diesen Augenblick hatten die Helferinnen abgewartet. Zugleich verbeugten sie sich vor der Prinzessin und drehten sich dann gemeinsam um.
Mit kaum hörbaren Schritten verließen sie den Raum, der für mich nichts anderes als eine Grabkammer war.
Ich dachte noch einen Schritt weiter. In einer Grabkammer wurde jemand zur letzten Ruhe gebettet.
Ich ging einfach davon aus, daß es bei Nefret auch der Fall sein würde, weshalb hätte sie sonst auf der Platte des Sarkophags liegen sollen?
Begraben, vergessen…
Nein, das kam nicht hin. Sonst hätte ich sie nicht in meiner Zeit treffen können. Irgend etwas würde wahrscheinlich nicht so laufen, wie es vorgesehen war.
Ich wartete ab.
Jetzt erst fiel mir auf, daß ich von drei Frauen nicht wahrgenommen worden war. Sie hätten mich eigentlich sehen müssen, denn ich stand im Licht.
Hatten sie mich einfach ignoriert, oder war mein Körper hier nicht sichtbar?
Letzteres schien wohl zuzutreffen. Mein Körper befand sich in meiner Zeit, nur der Geist hatte die durch Nefret und das magische Auge hergestellte Brücke in die Vergangenheit betreten und war zum Zeugen dieser heiligen Salbung geworden.
Eine goldene Frau lag vor mir, aber keine tote Frau. Wenn sie tatsächlich in ein Grab gelegt worden wäre, dann lebendig, oder würde sich alles noch einmal ändern?
Ich hatte keine Ahnung, war aber gezwungen, noch zu bleiben, denn aus eigener Kraft konnte ich diese Ebene nicht verlassen. Deshalb ging ich davon aus, daß man mich zum Zeugen machen wollte, der noch bestimmte Vorgänge zu sehen bekam.
Nicht ein Laut war zu hören. Ich hielt mich in der absoluten Stille auf, schaute nur in eine Richtung, und zwar von der Kopfseite her auf den goldenen Körper. Im Licht der Ölleuchten sah er noch anders aus. Er hatte einen
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