0763 - Strigen-Grauen
Vornamen angesprochen zu werden.« Aus einer Dose holte sie eine Zigarette hervor. Mit dem Feuer war sie schneller als ich. Sie rauchte zwei, drei Züge. Dabei schüttelte sie immer wieder den Kopf, um mir klarzumachen, daß sie mit dem Namen Sanders nichts anfangen konnte.
»Dann habe ich Pech gehabt.«
Fast böse schaute sie mich an. »Wollen Sie wirklich so schnell aufgeben, Mr. Sinclair?«
»Wenn Sie sich nicht an den Namen erinnern können, muß ich weiter forschen.«
»Aber etwas bleibt bei Ihnen zurück.«
»Wie meinen Sie?«
»Nun… ich möchte es einmal als einen Verdacht bezeichnen. Sie werden von hier weggehen und werden auch ein wenig frustriert sein. Sie werden überlegen, ob ich Sie angelogen oder die Wahrheit gesagt habe. Stimmt es, Mr. Sinclair?«
»Das kann ich nicht leugnen.«
Sie rang nach Atem und auch nach Worten. »Deshalb möchte ich, daß Sie noch bleiben, Mr. Sinclair. Es kann ja sein, daß mir noch etwas einfällt. Haben Sie schon einmal daran gedacht, daß die Verbindung zwischen Sanders und mir schon länger zurückliegen kann?«
»Nein, noch nicht. Aber haben Sie denn eine so interessante Vergangenheit?«
Helen horchte auf. »Wenn Sie das sagen, ist dieser Sanders auch ein außergewöhnlicher Mensch gewesen.«
»Da stimme ich zu.«
»Wer war er?«
»Jemand, der in einer Grauzone gelebt hat.«
»Genauer bitte.«
Ich legte mir die Worte zurecht, um Helen durch keine Spontanität zu schocken. »Sanders war ein Mensch, den ich nicht unbedingt als gesetzestreu einstufen möchte.«
»Ein… ein… Verbrecher?« fragte sie leise.
Ich wiegte den Kopf. »Nicht direkt, aber manche würden ihn als einen solchen bezeichnen. Andere nennen ihn einen Spion, einen Nachrichtenhändler, einen Agenten, wie auch immer. Er war jedenfalls ein Mensch, der ziemlich gefährlich gelebt hat und auch dafür bezahlen mußte.«
»Ja, mit seinem Tod«, flüsterte Helen, bevor sie den Kopf schüttelte. »Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, was ich mit einem Agenten zu tun gehabt haben soll.«
»Auch früher nicht?«
Sie drückte ihre Zigarette aus und winkte ab. »Was heißt schon früher, Mr. Sinclair. Mein Leben ist ziemlich ruhig verlaufen, bis auf die eine Sache.«
»Dieser Unfall?«
»Ja.« Sie nickte heftig. »Ich hatte unter den Folgen zu leiden. Nicht unter den körperlichen, sondern den seelischen. Ich kam mit mir selbst nicht mehr zurecht, hatte furchtbare Träume, ich konnte in keinen Wagen mehr einsteigen, ohne Schweißausbrüche zu bekommen. Für mich waren es furchtbare Tage und Wochen, sogar Monate«, fügte sie noch hinzu.
»Die haben Sie überstanden.«
»Das ist richtig«, flüsterte sie. »Allerdings nicht ohne fremde Hilfe. Man hat mir geholfen.«
»Wer?«
»Fragen Sie lieber, wo das geschah. In einer Klinik«, redete sie weiter. »Ich habe davon gelesen, nahm unbezahlten Urlaub und bin dort acht Wochen geblieben.«
»Eine lange Zeit.«
»Das können Sie laut sagen.«
»Wo liegt die Klinik?«
»Nicht einmal weit entfernt. Im Süden von London, in Sichtweite der Küste.«
»Und es war vorbei, als Sie die Klinik verließen?«
»Ja.«
Helen hatte die Antwort sehr rasch gegeben, ohne zu überlegen, und ich wurde unsicher. Hatte sie die Wahrheit gesagt, oder hatte sie mich nur beruhigen wollen?
»Was tat man dort mit Ihnen?« wollte ich wissen.
»Das kann ich Ihnen im Detail auch nicht sagen. Man hat mich untersucht, man hat mich therapiert, man hat mit mir Dinge angestellt, die ich nicht begriffen habe. Wir führten viele Gespräche, wir gingen auch oft spazieren, aber das meiste habe ich vergessen. Es… es ist wie ausgelöscht. Ich war nur froh, daß ich normal geworden bin und meinen Job wieder aufnehmen konnte.«
»Das glaube ich Ihnen, Helen.«
»Trotzdem bin ich unsicher geworden, Mr. Sinclair. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß mir während meines Aufenthaltes in der Klinik dieser Sanders begegnet ist, wobei ich seinen Namen vergessen habe. Ich war ja nicht der einzige Patient dort.«
»Eine gute Folgerung. Das ließe sich überprüfen, denke ich. Würde dies den Tatsachen entsprechen, Helen, dann müssen Sie auf Sanders einen außergewöhnlichen Eindruck gemacht haben, denn mit Ihrem Namen auf den Lippen starb er.«
Das hatte sie geschockt, und sie brauchte Zeit, um nur ein Wort zu sagen. »Wirklich?«
»Ich lüge Sie nicht an.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.« Sie kratzte wieder am Rand des Pflasters. »Es kommt im Moment nur alles so
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