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0766 - Das Grauen von Grainau

0766 - Das Grauen von Grainau

Titel: 0766 - Das Grauen von Grainau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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sich der andere längst gemeldet und versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
    Mario hob die Leuchter der Reihe nach vorn. Zunächst bestückte er damit die hinteren beiden Grabsteine, deren obere Kante breit genug war, um den Leuchtern Halt zu bieten. Zwar standen die Grabsteine etwas schief, aber nicht so sehr, als daß die Leuchter von ihren Rändern herabgerutscht wären.
    Mario war zufrieden. Er begann damit, die bleichen Kerzen in die vorhandenen Öffnungen zu stecken.
    Drei Leuchter waren es. Jeder hatte drei Arme, und der Junge hatte neun Kerzen mitgenommen. Sie sahen normal aus, waren auch normal eingefärbt worden, und trotzdem waren sie es nicht. Als Mario sie dicht vor seine Nase hielt und an ihnen roch, da nahm er den Geruch von Blut und fremden Stoffen auf.
    In seinen Augen leuchtete es. Die Nasenflügel vibrierten. Er genoß diesen Augenblick, denn dieser ungewöhnliche Geruch gab ihm ein heimatliches Gefühl mit auf den Weg. Er erinnerte ihn an eine Vergangenheit, in der er vieles vorbereitet hatte.
    Noch einmal überprüfte er den Sitz der Kerzen. Dann bewegte er sich wie ein Schatten zur Seite, bis die Zweige eines Busches seinen Rücken berührten.
    So blieb er stehen.
    Seine rechte Hand verschwand in der Hosentasche. Er holte eine große, mit Zündhölzern gefüllte Schachtel hervor, schob sie auf, nahm ein Streichholz mit spitzen Fingern hervor und zerrte den Kopf über die Reibfläche. Das Geräusch störte ihn nicht sonderlich, weil er sich nicht beobachtet fühlte.
    Mario schaute zu, wie die leicht grünliche Flamme mehr Nahrung bekam und größer wurde. Er schirmte sie mit der Hand ab und hielt sie gegen den Docht der ersten Kerze.
    Wegen der Windstille flackerte die Flamme nicht mal, als sie sich in die Höhe reckte. Ruhig brannte sie weiter, und Mario war zufrieden. Das war er auch dann noch, als die restlichen acht Kerzen brannten und der Umgebung ein völlig anderes Aussehen gaben. Hier war eine schimmernde Insel entstanden, in der Kerzenlicht eine Kuppel bildete, aber nicht zu hell war, so daß die Atmosphäre des Friedhofs nicht gestört wurde.
    Sie war hier unheimlicher geworden…
    Wo Licht ist, da ist auch Schatten.
    Sie verteilten sich wie schwarzgraue Tücher auf den Gräbern oder krochen an den Steinen in die Höhe.
    Für den Jungen gab es zwei Arten von Leben. Einmal das Leben, zu dem er auch stand und das ihn umgab, zum zweiten das schattenhafte, nicht sichtbare Leben, das tief im Verborgenen lag, sich hinter jenseitige Welten zurückzog, von den Menschen nicht mehr akzeptiert wurde und manchmal mit den Begriffen Geister- oder Totenscharen belegt wurde.
    In dieses Leben war Mario hineingetaucht, denn er selbst hatte es durch das Licht der Kerzen geschaffen. Hinzu kam der Odem des Todes, der aus den Tiefen der Gräber stieg und Mario wie eine Botschaft aus unendlicher Ferne erreichte.
    Er freute sich darüber. Auch wenn er beim ersten Versuch keinen direkten Kontakt bekommen hatte, jetzt, wo die Kerzen brannten, würden die anderen seine Botschaft schon verstehen.
    Die beiden hinteren Gräber ließ er zunächst außer acht. Er wollte sich um das erste Grab kümmern, das auch am wichtigsten war. Es hatte den höchsten und markantesten Grabstein, der im Schein der drei Kerzen aussah, als würde er zu seinem Ende hin zerfließen. Da wurden sie eins mit der dunklen Erde, als wollten sie in sie hineinkriechen und nie mehr zurückkehren. Aber hier sollte jemand zurückkehren. Er wollte nicht, daß die Toten noch länger in der Feuchtigkeit lagen und Besuch von Würmern und Käfern bekamen, die an ihrem Fleisch knabberten. Das Schicksal hatte seine Fäden wie eine Spinne gesponnen, und auf einem dieser Fäden hatte Mario das Ziel erreicht.
    Er maß eine bestimmte Stelle mit seinen Blicken ab, war zufrieden und setzte sich dann in Bewegung. Er mußte den alten Ritualen folgen. Die Stätte mußte in bestimmten Abständen von ihm umschritten werden, und er mußte dabei auch eine bestimmte Schrittfolge einhalten und die von den Alten überlieferten Gesänge aus den Totenreichen vortragen. Zum Glück kannte er sie auswendig.
    Mario ging seinen Weg.
    Es war im Prinzip ein Kreis, den er um diese Lichtinsel gehen mußte, und das siebenmal.
    Dabei blieb er nicht ruhig. Alte Beschwörungen drangen über seine Lippen. Er strengte sich dabei an, die Worte waren schwer auszusprechen. Schon bald bedeckte ein öliger Film aus Schweiß seine Stirn, aber er machte weiter und fühlte sich schon

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