0782 - Knochenbrut der alten Templer
kribbelte mir in den Beinen, doch auf ihn zuzugehen und einen Versuch zu starten, aber ich sah ein, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, denn ich musste mich um andere Dinge kümmern.
Vielleicht später, wenn ich das Rätsel halbwegs gelöst hatte.
Das Locken blieb.
Ich ging näher an den Sessel heran. Ich wollte ihn berühren. Eventuell gelang es mir sogar, eine gewisse Beziehung zu ihm aufzubauen, wie es ja auch bei dem Dunklen Gral der Fall war. Bei fast jedem Schritt hob ich die Schultern an, als hätte man mich mit kaltem Wasser übergossen.
Der Sessel lockte schon, auch Avalon…
Wen würde ich dort treffen? Ich war schon einmal dort gewesen.
Ich dachte auch an das große Tor von Glastonbury, durch das Avalon ebenfalls erreicht werden konnte. Das war der erste Weg gewesen.
Nun lag der zweite vor mir…
Noch drei kleine Schritte trennten mich vom Sessel. Der Schreibtisch des Abbés lag hinter mir.
An der Wand wuchsen Schatten hoch bis zur Decke. Es waren die mit Büchern vollgestopften Regale.
»Ahhhh…!« Ein irrer, beinahe unmenschlicher Schrei durchbrach meine Gedankenwelt. So abrupt und brutal war ich selten zurück in die Realität gerissen worden.
Da der Schrei hinter mir aufgeklungen war, drehte ich mich auf der Stelle um.
Von der Tür her jagte eine dunkle Gestalt auf mich zu. Es war der Templer, und er hatte seinen rechten Arm in die Höhe gerissen. Die Hand umklammerte den Griff des Messers, und die lange, verdammt scharfe Klinge zielte genau auf meine Brust.
***
Ruhe – Finsternis, schwarz und weich wie Watte. Suko trieb dahin und hatte den Eindruck, auf Flügeln getragen zu werden. Alles war anders geworden. Er war der realen Gefahr entrissen worden. Es gab keine schwarze Flut mehr, und er erinnerte sich daran, wie er versucht hatte, dieser gefährlichen Strömung zu entkommen. Es war ihm im letzten Augenblick gelungen, den Sessel zu erreichen, bevor dieser böse Geist sein Gehirn wie Kleber umfassen und ihn verändern konnte.
Der Skelett-Sessel hatte ihn diesmal vor dieser einen Gefahr gerettet. Suko erinnerte sich noch genau. Er war sich vorgekommen wie jemand, der einfach davon geschleudert worden war.
Hinein in die Fremde, in die Finsternis, hinein ins Nichts.
Dort trieb er.
Er hatte einen Körper, er konnte sich betasten, aber er wusste nicht, was mit ihm geschah und welche Kräfte die Kontrolle über ihn hielten. Er war dem Leben entrissen worden, doch seine Gedanken arbeiteten präzise und logisch.
Suko wusste, dass der Sessel eine bestimmte Funktion erfüllte und er den Weg nach Avalon bereitete. Deshalb rechnete er auch damit, in diesem geheimnisvollen Land, auf der Insel der Äpfel, der Heimat zahlreicher sagenhafter Gestalten, ein vorübergehendes Zuhause zu finden.
Aber Avalon war nicht dunkel.
Er aber schwebte in dieser Finsternis, und er hatte vor allen Dingen das Gefühl für Raum und Zeit völlig verloren. Er hätte sich einsam vorkommen müssen, es war aber nicht der Fall.
Irgendwo fühlte er sich auch wohl und sicher.
Das Denken hatte ihn angestrengt. Eine bleierne Müdigkeit durchströmte ihn. Suko kämpfte auch nicht dagegen an. Er ließ sich einfach weitertreiben, und die Augen fielen ihm wie von selbst zu.
Mehr bekam er nicht mit.
Irgendwann aber wachte er wieder auf. Für ihn war es ein ungewöhnliches Erwachen. Nicht wie zu Hause in seinem Bett und auch nicht wie aus einer tiefen Bewusstlosigkeit hervorkommend.
Einfach anders.
So wohlig, vielleicht auch wunderbar, als hätte er tagelang geschlafen und sich ausgeruht. Über seinem Körper glitten Hände hinweg, das meinte er zumindest, bis er sich darüber im Klaren war, dass ihn der warme Wind streichelte.
Er öffnete die Augen.
Die Dunkelheit war noch immer vorhanden. Diesmal nur nicht so dicht und undurchdringlich wie sonst. Hoch über sich sah er ein silbriges Schimmern und glaubte, dass es das Licht der Sterne war, ein herrlich tiefblauer Himmel. Der warme Wind und der Duft von Blüten umwehten ihn.
Suko fühlte sich fit. Er hatte überhaupt nicht mehr das Bedürfnis, liegen zubleiben. Mit einer heftigen Bewegung richtete er sich auf, stellte sich aber nicht auf die Füße, sondern blieb zunächst sitzen.
Viel konnte er nicht erkennen. Vielleicht eine graue Hügellandschaft, die unter der nächtlichen Dunkelheit begraben lag. Eigentlich hätte ihn das Gefühl der Einsamkeit überkommen müssen, das passierte jedoch nicht. Er saß irgendwo in einer fremden Welt, war mutterseelenallein,
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