0783 - Der Tunnel
allein!
Und der Fremde ging weiter. Etwas an seinen Bewegungen kam Jake Braddock bekannt vor. Die Gedanken hinter der Stirn rasten, sie bildeten Visionen und warfen die Frage auf, die er dann flüsternd aussprach.
»Halloran…?«
Die Gestalt ging weiter. Ihre Füße schleiften über den Boden. Der andere musste achtgeben, dass er nicht stolperte. Als er an der Ecke eines leeren Trogs vorbeischritt, prallte er dagegen und geriet ins Schwanken. Er fing sich wieder, setzte den Weg fort, und die nächsten Schritte brachten ihn so nahe an Braddock heran, dass dieser den Fremden endlich erkennen konnte. Es war Ed Halloran!
***
Jake Braddock glaubte, von nun an ohne Herz leben zu müssen, denn dessen Schlag hatte für einen Moment ausgesetzt. Der Mann stand unbeweglich auf dem Fleck. Über seinen Rücken floss ein Kälteschauer, und Halloran stand plötzlich vor ihm. Dabei blieb es nicht. Er kippte Braddock entgegen, der wiederum die Arme ausstreckte, um ihn abzufangen.
»Ed, verdammt, was ist?« Seine krächzende Stimme versickerte, als er Eds Stöhnen hörte.
Er fasste den Kollegen unter, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Hallorans Gesicht sah dunkel aus, aber es lag nicht an der Finsternis, sondern an gewissen Stellen auf der Haut, die so wirkten, als hätte jemand mit einem scharfen Gegenstand ein Muster hineingeschnitten, das noch immer blutete, weil es so frisch war.
Er hörte ein schluchzendes Geräusch, was er bei Ed sonst nicht kannte, aber er wusste auch, dass dieser Mann Hilfe brauchte.
Halloran trug noch immer seine Arbeitskleidung und sah so aus, als wäre er aus einer anderen Welt gekommen, in der das kalte Grauen seine Heimat hatte.
»Verdammt, Ed…« Er konnte sich nur wiederholen. Braddock sah, dass Ed etwas sagen wollte, nur brachte er kein einziges Wort über die Lippen. Es blieb beim tiefen Stöhnen.
Trotz dieser unheimlichen Begegnung war Braddock erleichtert.
Er würde dem Direktorium Ed Halloran am nächsten Tag präsentieren können, auch wenn dessen Zustand nicht eben als top bezeichnet werden konnte. Wichtig war, dass es ihn gab, und sicherlich würde Ed auch eine Menge zu berichten haben.
»Ich bringe dich ins Haus, Ed. Du musst mitkommen. Du musst dich reinigen, du musst reden. Du weißt gar nicht, was ich deinetwegen alles durchgemacht habe, alter Freund.«
Ed gab keine Antwort. Er war zu einer willenlosen Puppe geworden und ließ sich wiederstandslos durch den Garten ziehen, auf die Rückfront des Hauses zu.
Als sie beiden Männer die kleine Terrasse erreicht hatten, wandten sie sich nach links, wo sich zwischen den beiden Grundstücken ein schmaler Weg befand. An der anderen Seite grenzte das Haus direkt an den Nachbarn, hier aber war Platz genug. Ed hatte den Weg mit Steinen belegt, und seine linke Seite war von einer Rosenhecke begrenzt. In dieser Zeit war sie nicht mehr als ein kahles Gestrüpp mit krummen, toten Armen, die sich in verschiedene Richtungen streckten.
Vor der Haustür blieben sie stehen. Zum ersten Mal schien das Licht gegen die Gestalt.
Braddock erschrak bis ins Mark, als er das Gesicht seines Kollegen sah.
Es war ein furchtbarer Anblick. Wunden über Wunden reihten sich aneinander oder liefen kreuz und quer. Und aus allen Schnitten sickerte das Blut hervor, verteilte sich auf dem Gesicht, rann dann ineinander und vermischte sich zu einem roten Schmier, der das gesamte Gesicht zu einer Fratze machte. Sogar in den Augenbrauen klebte Blut, im Haar ebenfalls, denn Ed trug keinen Helm mehr. Seine Kleidung war auch verschmiert, die Lippen sahen aus wie rissige Schläuche, aus denen kleine Tropfen liefen. Wer immer das getan hatte, er war ein Schwein gewesen, und Braddock schüttelte sich bei diesem Gedanken.
Er musste Ed stützen, sprach beruhigend auf ihn ein, als er schellte. Lisa würde einen wahnsinnigen Schreck kriegen, wenn sie den Mann sah. Jake hoffte nur, dass er die richtigen Worte fand und seine Frau nicht allzu sehr beunruhigte.
Er hörte Lisas eilige Schritte. Sicherlich war sie wegen seines doch langen Fernbleibens beunruhigt, und als sie die Tür aufzog, da kam Jake nicht dazu, eine Erklärung abzugeben, denn Lisa sah ihn, sah Ed, und ihr Mund öffnete sich zu einem gellenden Schrei. Sie war geschockt, denn Eds Anblick hatte sie unvorbereitet getroffen.
Braddock ließ seinen Freund im richtigen Moment los. Er sprang auf Lisa zu. Bevor sie noch den Schrei ausstoßen konnte, hatte er ihr die Hand auf den Mund gepresst und sie ein
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