0793 - Als der Engel Trauer trug
dass er so ruhig auf seinem Platz blieb. Es mochte daran liegen, dass vor ihm kein Monster saß, sondern eine normal aussehende Frau. Aber sie hatte ihm Dinge erklärt, die weit über sein Begriffsvermögen hinausgingen. »Dann bist du der Engel mit dem Fratzengesicht gewesen, nicht wahr?«
»Das bin ich.«
»Und jetzt bist du hier als Jenna Wade erschienen.«
»Du hast alles begriffen.«
»Nur eines noch nicht«, flüsterte er.
»Das wäre?«
»Warum bist du gerade zu mir gekommen? Ich… ich habe doch mit dir gar nichts zu tun.«
»Direkt nicht, das stimmt«, gab sie zu. »Indirekt schon, mein Lieber, denn du hattest Kontakt zu meiner Todfeindin. Sie hat mir etwas genommen, was ich haben sollte.«
»Das Kind?«
»Die Kinder!«, keuchte sie. »Ich wollte sie mir holen. Ich mag tote Kinder. Ich bin der gefallene Engel, ich bin böse, würden die Menschen sagen, und ich bin grausam, denn ich will die Seelen dieser Kinder haben. Seelen, die noch so jung und unverdorben sind, verstehst du das, Mensch?«
Nein, er wollte es nicht verstehen. Pete wusste nur, dass ihn ein unbeschreiblicher Hass und auch eine irre Verachtung dieser Person gegenüber überkommen hatte.
Er sprang auf. »Nein!«, schrie er. »Du… du wirst diese Kinder nicht bekommen. Sie … sie sollen leben …«
»Sie waren schon tot.«
»Das ist ebenso schlimm!«
Sie lachte nur.
Pete Ashley regte sich auf. Wenn er darüber nachdachte, was sie mit den unschuldigen Kindern anstellte, dann…
Nein, das wollte er nicht. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, er wollte alles weit von sich wegschieben. Diese Person war einfach zu schrecklich und zu unglaublich.
Jenna Wade beobachtete ihn gelassen. Sogar ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Aber die Augen lächelten nicht mit, denn in ihnen begann es zuerst.
Plötzlich erschien dort ein sehr harter gelblicher Glanz. Der Vertreter, der einen zufälligen Blick in das Gesicht geworfen hatte, blieb auf der Stelle stehen.
Er kriegte den Mund nicht zu. Durch sein Gehirn zuckte die Erinnerung an ein noch nicht lange zurückliegendes Ereignis. Da hatte er auf dem Friedhof im Nebel gestanden und einzig und allein nur die Augen gesehen. Schon in der Nacht hielten sie etwas Hypnotisches in sich versteckt, und das war am Tage nicht anders.
Ihre Augen, dieselben Augen!
Jenna riss die Beine hoch. Sie drehte sich dabei auf dem Bett sitzend und wandte dem Vertreter den Rücken zu. Sie bog den Körper nach vorn, der Rücken rundete sich, und plötzlich platzte der Mantel einfach weg. Wie eine riesige Fahne wehte er durch den Raum.
Er nahm Pete Ashley die Sicht, und bevor das Kleidungsstück mit langsamen Bewegungen wieder zu Boden flatterte, war Jenna so weit.
Wieder drehte sie sich auf dem Bett hockend herum.
Zuerst hörte er das Fauchen. Dann aber sah Pete die Gestalt. Und diesmal hatte er Todesangst!
***
Auch mir rann ein Schauer über den Rücken, und meinem Freund Suko erging es ebenso. War diese Gestalt tatsächlich Jenna Wade?
Der Sergeant hatte davon gesprochen, doch unterschrieben hätte ich seine Worte keinesfalls. Dieses Wesen konnte alles sein, und als ich mich auf die Gesichtszüge konzentrierte, da konnte ich auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob es sich genau um diese Person handelte, denn ich kannte Jenna Wade nicht.
Es war nicht einmal genau zu erkennen, ob wir es mit einem feinstofflichen Wesen zu tun hatten oder mit einer Person, die sich materialisiert hatte. Wir befanden uns in der Schwebe und in einem Wechselbad der Gefühle. Eines aber stand fest. Wer immer diese Person auch war, sie fühlte sich inmitten der Kinder sehr wohl, und das galt auch für die jüngsten Menschen in dieser Tagesstätte.
Der Raum war bunt und kindgerecht eingerichtet oder ausstaffiert worden. An den Wänden hingen die von den Kindern gemalten, bunten Bilder. In den Ecken stapelte sich das Spielzeug. Ich sah viel Holz, wenig Plastik. Die Tische und Sitzgelegenheiten waren ebenfalls farbig lackiert worden, und die Lampen wiesen die Form lachender Gesichter auf. Das Licht war allerdings nicht eingeschaltet.
Da der Dunst draußen ebenfalls die Helligkeit zurückhielt, sickerte durch die Fenster nur graues Tageslicht.
Zwei Erzieherinnen saßen ebenfalls zwischen den Kindern. Auch sie hatten unseren Eintritt nicht zur Kenntnis genommen. Sie schauten ebenfalls nur auf die Person in der Mitte des Kreises, die das Kind in ihrem Arm hielt und das leise Lied summte.
Die weiße Gestalt bewegte sich
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