08 - Ehrenschuld
Telefone in den Büros von fast allen Mitgliedern beider Häuser des Kongresses. Die meisten brachten ihre Empörung über den Vorfall auf der I-40 zum Ausdruck, was zu erwarten war. Einige hunderttausend Leute, aus allen Bundesstaaten und allen 435 Wahlbezirken für den Kongreß, ließen keine Gelegenheit aus, ihrem Vertreter in Washington zu allem und jedem ihre Meinung zu sagen. Jüngere Mitarbeiter nahmen die Anrufe entgegen und notierten Datum und Stunde, Name und Adresse jedes Anrufers - oft brauchten sie gar nicht danach zu fragen, weil man den Anrufer schon an der Stimme erkannte. Nach Thema und Meinung zusammengestellt, gehörten die Anrufe zur aktuellen Morgeninformation jedes Abgeordneten und Senators, und in den meisten Fälle wurden sie umgehend wieder vergessen.
Andere Anrufe erreichten führende Mitarbeiter und in vielen Fällen auch die Abgeordneten selbst. Sie kamen von Geschäftsleuten aus ihrem Wahlbezirk, meistens Herstellern von Produkten, die direkt mit Waren aus Übersee konkurrierten. Einige hatten auch versucht, in Japan ins Geschäft zu kommen, waren aber auf Hindernisse gestoßen. Nicht immer wurden diese Anrufe beachtet, aber sie wurden auch selten ignoriert.
Inzwischen war die Sache wieder Topstory in allen Nachrichtensendungen, nachdem sie für kurze Zeit das Schicksal aller Nachrichten erlitten hatte und in Vergessenheit geraten war. In den heutigen Sendungen wurden zuerst Familienfotos von dem Polizeibeamten und seiner Frau und ihren drei Kindern sowie von Nora Dunn und Amy Rice gezeigt; dann kamen ein kurzes, auf Band aufgenommenes Interview mit dem heldenhaften Lkw-Fahrer, der seine Brandverletzungen zu Hause auskurieren konnte, und Bilder von der sich vor Schmerzen windenden kleinen Jessica Denton auf einer Intensivstation, wo die Schwestern weinten, als sie das tote Gewebe von dem verkohlten Gesicht und den verkohlten Arme schälten.
Derweil saßen Anwälte bei den betroffenen Familien, brachten ihnen bei, was sie vor der Kamera zu sagen hatten, und bereiteten gefährlich bescheidene Klageschriften vor, während ihnen Visionen von Erfolgshonoraren durch den Sinn gingen. Journalisten befragten Angehörige, Freunde und Nachbarn, wie sie das Unglück aufgenommen hatten, und die zornige Trauer von Menschen, die einen unerwarteten bitteren Verlust erlitten hatten, deuteten andere entweder als Ausdruck gewöhnlicher Verärgerung oder als Wahrnehmung einer Gelegenheit, aus der Situation Nutzen zu ziehen.
Am bezeichnendsten war aber die Geschichte des Benzintanks selbst. Das vorläufige Ergebnis des NTSB war, kaum daß seine Existenz im Repräsentantenhaus überhaupt erwähnt worden war, durchgesickert. Das konnte man sich einfach nicht entgehen lassen. Die amerikanischen Autohersteller flehten ihre Ingenieure an, die Sache wissenschaftlich zu erklären, und nahmen mit kaum verhohlener Schadenfreude zur Kenntnis, daß es ein schlichtes Beispiel mangelnder Qualitätskontrolle an einem ganz einfachen Autoteil war, daß die Japaner gar nicht so auf Draht waren, wie alle glaubten: »Hören Sie, Tom, das Galvanisieren von Stahl kennt man seit über hundert Jahren«, erklärte ein Ford-Ingenieur gegenüber NBC Nightly News. »Aus dem Zeug macht man zum Beispiel Mülltonnen.«
»Mülltonnen?.« fragte der Moderator verständnislos, denn seine waren aus Plastik.
»Seit Jahren haben sie auf uns eingehämmert wegen der Qualitätskontrolle, haben uns erklärt, wir seien nicht gut genug, nicht sicher genug, nicht sorgfältig genug, um auf ihrem Automarkt konkurrieren zu können, und jetzt sehen wir, daß sie doch nicht so großartig sind. - Es ist nicht zu glauben, Tom«, fuhr der Ingenieur fort, den jetzt der Hafer stach. »Die Benzintanks in den beiden Crestas besaßen weniger Strukturfestigkeit als eine Mülltonne, die mit der Technik von 1890 hergestellt wird. Und deshalb sind diese fünf Menschen verbrannt.«
Diese beiläufige Bemerkung wurde zum »Markenzeichen« für den ganzen Vorfall. Am nächsten Morgen standen fünf Mülltonnen aus galvanisiertem Stahl vor dem Eingang des Cresta-Werks in Kentucky, und auf einem Schild konnte man lesen: Warum probiert ihr es nicht damit? Ein CNN-Team, das vorher einen Wink bekommen hatte, nahm die Szene auf, und am Mittag war das ihr Aufmacher. Es war alles eine Frage der Wahrnehmung. Es sollte Wochen dauern, bis man festgestellt haben würde, was wirklich schiefgegangen war, aber bis dahin sollten die Wahrnehmung und die Reaktionen auf sie die
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