08 Geweihte des Todes - Adrian Lara
die wie ein guter Schafhirte neben ihrer schutzlosen Herde stand. „Wieso denkst du, dass diese Schwester Margaret euch helfen kann?“
„In solchen Jugendheimen wechseln die Betreuer oft“, erklärte Dylan. „Die Stiftung, in der meine Mom gearbeitet hat, war da keine Ausnahme. Eine frühere Arbeitskollegin von ihr hat mir eben Schwester Margarets Namen und dieses Foto geschickt. Sie sagte, die Schwester ist vor ein paar Jahren in Rente gegangen, aber sie hat schon seit den 1970ern ehrenamtlich in mehreren Jugendeinrichtungen in New York gearbeitet. Genau solche Leute suchen wir.“
„Wir brauchen jemanden, der über einen langen Zeitraum in vielen dieser Jugendeinrichtungen gearbeitet hat und uns vielleicht anhand einfacher Skizzen ehemalige Bewohnerinnen identifizieren kann“, sagte Savannah und zeigte auf die handgezeichneten Porträts an der Wand.
Jenna nickte. „Diese Skizzen stellen Frauen dar, die in Einrichtungen hier in der Gegend gewesen sind?“
„Diese Skizzen“, sagte Alex neben Jenna, „sind Stammesgefährtinnen, die Dragos immer noch gefangen hält.“
„Ihr denkt, sie sind immer noch am Leben?“
„Vor ein paar Monaten waren sie es jedenfalls noch.“ Renatas Stimme war grimmig. „Eine Freundin des Ordens, Claire Reichen, konnte mit ihrer Stammesgefährtinnengabe auf einem Traumspaziergang Dragos’ Hauptquartier orten. Sie hat die Gefangenen selbst gesehen – in seinem Labor waren über zwanzig Frauen in Gefängniszellen eingesperrt. Dragos hat seine Operation verlegt, bevor wir sie retten konnten, aber Claire hat sich mit einer Zeichnerin zusammengesetzt, um die Gesichter wenigstens zu dokumentieren, die sie dort gesehen hat.“
„Da sind sie jetzt auch gerade, Claire und Elise“, sagte Alex. „Elise hat einen großen Freundeskreis in der zivilen Stammesbevölkerung hier in Boston, sie und Claire arbeiten gerade an zwei neuen Skizzen von Frauen, die Claire in Dragos’ Schlupfwinkel gesehen hat.“
„Sobald wir Gesichter der Gefangenen haben“, sagte Dylan, „können wir anfangen, nach Namen und Familienangehörigen zu suchen. Nach allem, was uns hilft, mehr darüber herauszufinden, wer diese Frauen sind.“
„Was ist mit den Vermisstendatenbanken?“, fragte Jenna. „Habt ihr eure Skizzen mit Profilen der landesweiten Vermisstenstelle und ähnlicher Organisationen abgeglichen?“
„Haben wir – und nichts gefunden“, sagte Dylan. „Viele dieser Frauen und Mädchen in den Heimen sind Waisen, und viele von ihnen wurden von ihren Familien vor die Türe gesetzt. Manche sind auch selbst davongelaufen und haben alle Verbindungen zu Familie und Freunden abgebrochen. Das Ergebnis ist dasselbe, sie haben niemanden, der sie sucht oder vermisst, also gibt es für sie auch keine Vermisstenanzeigen.“
Renata nickte zustimmend, offenbar kannte sie die Situation aus erster Hand. „Wenn du nichts und niemanden mehr hast, kannst du einfach verschwinden, und es ist, als hätte es dich nie gegeben.“
Aus ihren Jahren im Polizeidienst in Alaska wusste Jenna, wie wahr das sein konnte. Leute verschwanden spurlos in Großstädten, aber genauso in kleinen Ortschaften auf dem Land. Es passierte jeden Tag, obwohl sie sich nie hätte vorstellen können, dass es aus den Gründen geschah, die Dylan, Savannah, Renata und die anderen Frauen ihr jetzt erklärten. „Und was ist euer Plan, wenn ihr die verschwundenen Stammesgefährtinnen identifiziert habt?“
„Sobald wir genug an persönlichem Material für jede Einzelne von ihnen haben“, sagte Savannah, „kann Claire versuchen, im Traum eine Verbindung zu ihnen herzustellen und so hoffentlich etwas darüber herausfinden, wohin die Gefangenen verlegt wurden.“
Jenna war es gewohnt, Fakten schnell zu erfassen und auszuwerten, aber nun begann sich ihr von all diesen neuen Informationen doch der Kopf zu drehen. Und sie konnte ihren Verstand nicht bremsen, Lösungen für die Probleme zu suchen, die ihr da präsentiert wurden. „Wartet mal. Wenn Claires Gabe sie schon einmal zu Dragos’ Schlupfwinkel geführt hat, warum kann sie es dann nicht einfach noch einmal tun?“
„Damit ihre Gabe funktioniert, braucht sie irgendeine emotionale oder persönliche Verbindung zu der Zielperson, die sie im Traum besuchen will“, antwortete Dylan. „Ihre Verbindung beim letzten Mal bestand nicht zu Dragos, sondern zu jemand anders.“
„Zu ihrem ehemaligen Gefährten, Wilhelm Roth“, bemerkte Renata und zischte den Namen fast wie einen
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