08 - Old Surehand II
uns, wenn uns dabei der Kaper in die Hände liefe. Er vermag im Sturm nicht zu manövrieren wie wir.“
„Segel in Sicht!“ ertönte es da vom Masthead herab, wo einer auf dem Ausguck saß.
„Wo?“
„Nordost bei Nord.“
Im Nu war der Lieutenant oben und nahm dem Mann das Glas aus der Hand, um das gemeldete Schiff zu beobachten. Dann kletterte er in sichtbarer Hast herab und trat auf das Quarterdeck, wo Jenner ihn erwartete.
„Hand an die Brassen!“ ertönte sein Befehl.
„Was ist's?“ fragte Jenner.
„Ist nicht genau zu sehen, jedenfalls aber ein Dreimasterschiff wie der ‚l'Horrible‘. Wir sind kleiner und unter dem Blendstrahl der Sonne; er hat uns also noch nicht gesehen. Ich werde die Segel tauschen.“
„Wie?“
Parker lächelte.
„Eine kleine Einrichtung, die ganz geeignet ist, einen auf größere Entfernung hin unsichtbar zu machen. Hinauf zu den Rahen!“
Wie die Katzen waren die wohlgeschulten Matrosen sofort oben.
„Weg mit Klüver-, Stangen- und Vorstangensegel. Refft und beschlagt!“
Im Nu wurde das Kommando ausgeführt. Das Schiff lief nun mit halber Geschwindigkeit.
„Das schwarze Tuch. Gebt acht!“
Einige dunkle Segel wurden auf dem Deck parat gehalten.
„Tauscht um das Haupt-, Fock- und Bugsegel!“
In wenigen Minuten befand sich dunkle Leinwand an Stelle der lichten. Die ‚Swallow‘ war jetzt für das nahende Schiff unsichtbar.
„Maat, leg um nach Südwest bei Süd!“
Die ‚Swallow‘ ging jetzt langsam vor dem andern Fahrzeug her. Ihre sämtliche Besatzung hatte sich auf dem Deck versammelt. Parker aber stieg wieder empor, um zu beobachten. Es war über eine halbe Stunde vergangen und die Dunkelheit brach herein, als er wieder herabkam. Sein Gesicht drückte innige Befriedigung aus.
„Alle Mann an Deck!“
Dieses Kommando war eigentlich gar nicht nötig; die Leute standen schon alle um ihn herum.
„Jungens, es ist der ‚l'Horrible‘. Paßt auf, was ich euch sage!“
Mit gespannter Erwartung drängten sie sich näher.
„Ich will den Kampf Bord gegen Bord vermeiden. Ich weiß, daß keiner von euch sich fürchtet, aber ich muß ihn unbeschädigt haben. Er hat sich außer Völkerrecht gestellt und soll als Räuber behandelt werden. Wir werden ihn mit List nehmen.“
„Ay, ay, Käpt’n, so ist's recht!“
„Wir haben Neumond und die See ist schwarz. Wir treiben bloß mit dem Hauptsegel vor ihm her; er muß uns für notleidend halten, wird beidrehen und uns als gute Prise betrachten.“
„So ist's!“ klang es zustimmend.
„Ehe er uns ansegelt, setzen wir die Boote aus. Der Maat behält die ‚Swallow‘ mit nur sechs Mann. Wir andern gehen fertig zum Entern in die Boote, und während er vom Back sich mit dem Schiff beschäftigt, steigen wir vom Steuer auf sein Deck. Jetzt macht euch fertig!“
Es war ein gewagter Plan, den der kühne Mann entworfen hatte, aber er traute den Umständen und seinem guten Glück, welches ihn bisher noch nie verlassen hatte.
Während die ‚Swallow‘ in langsamer Fahrt durch die Wogen strich, schoß der ‚l'Horrible‘ mit seiner gewöhnlichen Geschwindigkeit vorwärts. Es war Nacht geworden, kein Segel zu erblicken gewesen und die Besatzung fühlte sich vollständig sicher. Sanders hatte soeben eine Unterredung mit seiner Gefangenen gehabt, resultatlos wie immer, und schickte sich nun an, die Ruhe zu suchen, als plötzlich aus ziemlicher Entfernung ein matter Schuß ertönte.
Schnell war er an Deck. Ein zweiter Schuß ließ sich hören; ein dritter folgte.
„Notschüsse, Käpt’n“, meinte der lange Tom, der in seiner Nähe stand.
„Wäre es hinter uns, so könnte es eine Kriegslist sein, vor uns aber ist das ganz unmöglich. Jedenfalls ist es ein verunglücktes Fahrzeug ohne Masten, sonst hätten wir vor Abend seine Segel sehen müssen. Constable, eine Rakete und drei Schüsse!“
Die Rakete stieg empor und die Schüsse krachten. Die Notzeichen des andern Fahrzeugs wiederholten sich.
„Wir kommen näher, Tom; es wird eine Prise, nichts weiter.“ Er zog das Nachtrohr an das Auge. „Schau, dort liegt es; es trägt nur ein altes Hauptsegel. Die Luft ist etwas steif, aber ich werde beidrehen, um mit ihm zu sprechen!“
Er gab die nötigen Befehle; die Segel fielen; das Schiff drehte sich herum und trieb dann in geringer Entfernung neben der ‚Swallow‘ her.
„Ahoi, welch ein Schiff?“ tönte es herüber.
Fast die ganze Besatzung des ‚l'Horrible‘ hatte sich nach Backbord
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